DGB fordert radikale Rentenreform

Gewerkschaftsbund warnt vor „tickender Zeitbombe“ der Altersarmut. DGB schlägt eine Erwerbstätigenversicherung und eine Aufstockung für Niedrigverdiener vor. Das würde Steuermilliarden kosten. Lob von Linke und Sozialverband

BERLIN taz ■ Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat eine Neuausrichtung der Rentenversicherung gefordert. Sie sei nötig, um auf die „Altersarmut ungeahnten Ausmaßes zu reagieren, die auf das Land zukommt“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Mittwoch. Neben Rentenerhöhungen schlagen die Gewerkschafter eine Erwerbstätigenversicherung vor, in die auch Selbstständige und Beamte einzahlen. Zudem müssten die Renten von Niedrigverdienern aufgestockt werden, sagte Buntenbach weiter.

Finanzieren möchte der DGB die Reform mit höheren Rentenbeiträgen und zweistelligen Milliardenbeträgen aus Steuermitteln. „Wenn in kurzer Zeit 12 Milliarden Euro Steuern für die Spekulationen von öffentlichen und halböffentlichen Banken aufgewendet werden, muss Geld für die Vermeidung von Altersarmut da sein“, sagte Buntenbach. Damit fordert der DGB die Abkehr vom Rentensystem, das darauf basiert, dass die Renten durch Beiträge finanziert werden.

Eine Erwebstätigenversicherung, wie sie der DGB-Vorstand beschlossen hat, würde viel mehr Arbeitnehmer an der Rentenfinanzierung beteiligen, bisher zahlen nur Angestellte ein. Dafür seien „angemessene Übergangszeiten“ einzuhalten, so Buntenbach. Die Beiträge von Niedrigverdienern sollen durch die sogenannte Rente nach Mindesteinkommen aufgewertet werden. Einkommen von Billigjobbern, die mindestens 25 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hätten, müssten um das 1,5fache angehoben werden, sagte Buntenbach.

Damit greift der DGB ein akutes Problem auf. Eine Supermarktverkäuferin, die 7,50 Euro die Stunde verdient, müsste derzeit 51 Jahre Beiträge zahlen, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu bekommen. „Wir wollen, dass möglichst wenige Menschen gezwungen werden, die Grundsicherung zu beanspruchen“, argumentierte Buntenbach.

Ferner forderte sie die große Koalition dazu auf, das Rentenniveau anzuheben, die Beitragszahlungen für Langzeitarbeitslose zu erhöhen und die Altersteilzeit weiter mit Mitteln der Arbeitsagentur zu fördern. Die Förderung läuft 2009 aus. Die tiefgreifenden Maßnahmen seien nötig, um die „tickende Zeitbombe“ der Altersarmut zu entschärfen, so Buntenbach. Der Sozialverband VDK schloss sich der Forderung nach einer Rente nach Mindesteinkommen an. „Geringverdiener laufen sonst zunehmend Gefahr, in Altersarmut zu geraten“, sagte Präsident Walter Hirrlinger. Auch die Partei Die Linke begrüßte die Vorschläge. Die „politisch provozierte Gefahr wachsender Altersarmut“ mache eine Weiterentwicklung der Rentenversicherung nötig, so der Abgeordnete Volker Schneider. ULRICH SCHULTE

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