RAF-Suizide: Was wusste der Staat?

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft prüft seit einem Jahr, ob sie die Stammheim-Nacht 1977 neu aufrollen soll. Vorwurf: Der Staat verhielt sich bewusst passiv

FREIBURG taz ■ Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft untersucht immer noch die Umstände der Todesnacht von Stammheim, als sich im Herbst 1977 die führenden RAF-Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe töteten. Neu aufgefundene Fotos von den toten Gefangenen werden die Untersuchung aber wohl nicht voranbringen.

Im September 2007 hatte das Magazin Spiegel eine Fülle von Indizien für die These zusammengestellt, dass die Gespräche der Gefangenen vom Staat überwacht wurden und deshalb den Beamten auch der Beschluss zum kollektiven Selbstmord bekannt gewesen sein musste. So hatten die Gefangenen eine Gegensprechanlage gebastelt, an die alle Zellen angeschlossen waren. Die Vermutung von Spiegel-Autor Stefan Aust ist: Der Staat ließ die Gefangenen gewähren, um sich während der Schleyer-Entführung in das System einzuschalten und die Gespräche mitzuhören. Der Verdacht läge dann nahe, dass Sicherheitsbehörden, den Selbstmord bewusst geschehen ließen. Ähnlich hatte Aust schon in seinem Standardwerk „Der Baader Meinhof Komplex“ argumentiert.

Doch diesmal reagierte die Staatsanwaltschaft und prüft seither, ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet. Im Staatsarchiv Ludwigsburg wurden die alten Ermittlungsakten wieder abgeholt. Einst stand von Seiten der linksradikalen Szene der Verdacht im Raum, die RAFler seien vom Staat ermordet worden. Ergebnis der damaligen offiziellen Untersuchung: Es war Selbstmord. „Wir haben damals aber nicht untersucht, ob Beamte von einem kollektiven Selbstmord hätten wissen können“, sagte am Dienstag der damalige Untersuchungsführer Rainer Christ zur taz. Heute ist er stellvertretender Generalstaatsanwalt in Stuttgart.

Die neue Prüfung des Vorgangs scheint aber nicht recht voranzukommen. Die Staatsanwaltschaft hat noch keinen der damals beteiligten Beamten befragt. Das dürfte sie auch erst nach Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens. Doch auch heute – knapp ein Jahr nach Beginn der Prüfung – hat sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft noch immer nicht entschieden, ob sie den Vorgang wieder einstellt oder ob sie wirklich ermitteln will. Der naheliegendste Vorwurf – Tötung durch Unterlassen – dürfte auch bereits verjährt sein. Nur Mord verjährt nicht.

Die Untersuchung geriet jetzt wieder ins Blickfeld, weil letzte Woche im Nachlass eines Stuttgarter Polizeifotografen 400 Fotos gefunden wurden, die Baader, Ensslin, Raspe und die schwerverletzte Irmgard Möller am Morgen nach der Todesnacht sowie nach der Obduktion zeigen. Der Fotograf hatte sich unzulässig private Abzüge gemacht – niemand weiß allerdings, wozu.

Ähnliche Fotos hatte 1980 bereits das Magazin Stern veröffentlicht. Ein Verfahren wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen war damals wieder eingestellt worden. Zu viele Personen hatten Zugang zu den Fotos.

CHRISTIAN RATH