Chancengleichheit statt Auslese: Angela Merkel bildet sich fort

Die Bundeskanzlerin will mit Praktikern aus Schulen, Kitas und Unis über ein besseres Bildungssystem diskutieren. Sie kann dabei viel lernen, denn die Praktiker sind gegen die frühe Auslese.

Die CDU setzt immer noch auf Auslese-Verfahren an den Schulen. Bild: dpa

BERLIN taz Auf schwierige Klausuren bereite man sich akribisch vor- diese Schulbuchweisheit beherzigt auch Angela Merkel. Bevor sich die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin im Oktober mit den Ministerpräsidenten der Länder zum Bildungsgipfel in Dresden trifft, bereist sie deren Hoheitsgebiete.

Ihr Sprecher kündigte am Montag in Berlin an, dass sich Merkel ab Donnerstag auf Bildungsreise begibt. Die Tour durch Bildungseinrichtungen in zehn Bundesländern diene dazu, sich "ein umfassendes Bild zu verschaffen vom Stand und von den Herausforderungen, vor denen das Bildungssystem steht". Die jeweiligen Ministerpräsidenten gesellen sich dazu.

Im Juni veröffentlichten die Kultusminister ihren aktuellen Bildungsbericht, der erneut die ungleiche Verteilung von Chancen dokumentiert. Merkel überraschte damals mit der Ankündigung, einen eigenen Gipfel auszurichten. Ein mutiges Unterfangen, weil Bildung seit der Föderalismusreform Sache der Länder ist. Sie würden sich nicht an goldene Zügel legen lassen, erklärte die saarländische Kultusministerin und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), am Wochenende.

Als gründliche Bildungsreisende versorgt sich Angela Merkel vorab mit weiteren Informationen. Am Dienstag trifft sie sich im Kanzleramt mit Experten und Praktikern aus der Bildungsszene. Unter den 32 Eingeladenen sind WissenschaftlerInnen, SchulleiterInnen und Arbeitgeber. Die Ratschläge werden Merkel zum Teil gefallen. "Ich wäre dafür, dass der Bund wieder mehr Mitspracherechte bekommt. Von den Eltern wird unheimlich viel Mobilität verlangt, und dann stoßen sie in jedem Bundesland auf andere Voraussetzungen für ihre Kinder", sagte Ilse Ziess-Lawrence.

Sie leitet einen Kindergarten in Berlin-Kreuzberg, 40 Prozent der Kinder kommen aus Elternhäusern, in denen Deutsch Zweitsprache ist. "Alle Kinder sollten so früh wie möglich Zugang zu Kindertagesstätten haben und nicht nur die, deren Eltern Arbeit haben", wünschte sie sich. In Berlin haben Kinder wie in vielen anderen Bundesländern ab dem 3. Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. "Wir verschenken immer noch unheimlich viele Chancen in der frühkindlichen Bildung", so das Fazit von Ziess-Lawrence.

Dies dürfte Merkel zu denken geben. Genau wie die Einschätzung von Barbara Riekmann, Schulleiterin der Max-Brauer-Schule in Hamburg. Die integrierte Gesamtschule gewann 2005 den Deutschen Schulpreis. Kinder, die im dreigliedrigen Schulsystem längst auf verschiedene Schulformen verteilt worden wären, lernen hier fächerübergreifend zehn Jahre gemeinsam - jedes Kind in seinem Lerntempo: "Vielfalt ist der Schlüssel zu mehr Chancengleichheit", glaubt Riekmann.

Das Gegenteil dessen also, was Merkels Parteifreunde nach wie vor predigen - die Aufteilung auf "begabungsgerechte" homogene Schulformen. Vom Bund wünscht sich Riekmann, dass er Mindesstandards setzt, damit dass Bildungssystem keine Verlierer mehr produziere. Im gegenwärtigen Bildungsföderalismus eine fast unlösbare Aufgabe.

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