Verkleidete Polizisten tricksen Polizei aus

RECHTE DEMO Trotz behördlicher Schikanen verzögern hunderte Demonstranten den braunen „Trauermarsch“ in Bad Nenndorf und blockieren die Strecke – mit Hilfe der Zeitung „Polizei heute“

BAD NENNDORF taz | Der Umgang mit den Gegendemonstranten des Nazi-Aufmarsches im niedersächsischen Bad Nenndorf wird ein parlamentarisches Nachspiel haben. „Wir lassen CDU-Innenminister Uwe Schünemann nicht aus der Verantwortung“, sagte Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag am Rande der Protestdemo der taz. Die Grünen und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Anmelder der Gegenkundgebung werfen den Behörden vor, den friedlichen Protest gegen die Nazis zuvor kriminalisiert und damit behindert zu haben.

Am Samstag marschierten mehr als 1.000 Neonazis in Bad Nenndorf auf. Mit Trommelschlägen und unter dem Motto „Für die Opfer alliierter Kriegs- und Nachkriegsverbrechen“ zogen sie schweigend vom Bahnhof bis zum Winklerbad. Doch kreative Aktionen von rund 1.200 Gegendemonstranten verzögerten den Marsch um mehrere Stunden.

Das so viele Protestler kamen überraschte auch den Bürgermeister von Bad Nenndorf positiv. Der Landkreis Schaumburg hatte nämlich sowohl die Nazi- als auch die Gegendemo zunächst verboten. Die Entscheidung fiel aufgrund einer Gefahrenprognose des Verfassungsschutzes und der Polizei. Erst am Freitag um 20 Uhr hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg doch noch eine kurze Kundgebung des Bündnisses „Nenndorf wird bunt“ genehmigt.

„Das Bündnis aus Sportvereinen, Kirchen, Parteien und Gewerkschaften wird behandelt wie die Aussätzigen“, beklagte der DGB-Regionalvorsitzende Sebastian Wertmüller vor rund 1.200 Kundgebungsteilnehmern.

Ab Mittag sollten die Neonazis zu dem „Bad“ hinaufmarschieren, wo die britische Armee von 1945 bis 1947 ein Gefängnis für Nationalsozialisten unterhielt. 800 Meter, die auch massiv abgesperrt waren. Doch plötzlich stand dennoch eine Betonpyramide da, an der sich vier Gegendemonstranten angekettet hatten. Sie schafften, was eigentlich hätte unmöglich sein sollen: Mit einem blauen Kleinbus und einem Anhänger mit Absperrgitter waren sie durch die Polizeisperren bis knapp 100 Meter vor das „Bad“ gekommen. Die Zeitung Polizei heute hinter der Windschutzscheibe machte den Weg frei und verlieh ihnen Glaubwürdigkeit. Zusätzlich hatte sich die Gruppe ähnlich wie Beamte gekleidet: dunkle Kappe, schwarzes T-Shirt, grüne Hose. „Die hätten wir auch durchgelassen“, meinte prompt ein höherer Polizeibeamter. „Ja, Respekt“, ergänzte ein Kollege.

Anwohner und Mitglieder des Sportvereins VfL Bad Nenndorf solidarisierten sich spontan. Statt den Polizeianweisungen zu folgen und wegzugehen, setzten sich rund 30 Menschen auf die Straße. Die meist weit über 40-Jährigen stimmten Friedenslieder an. „Ich habe so was noch nie gemacht, es reicht aber einfach“, sagte ein 65-jähriger Anwohner. Ein Frau im VfL-T-Shirt meinte: „Diesen braunen Mob lässt man in SA-Manier marschieren und wir werden schikaniert.“

Den „Trauermarsch“ führte die Polizei später an der Pyramide eng vorbei. Mit weißer Oberbekleidung waren viele Rechten gekommen. Ganz bewusst, um an die SA zu erinnern, die 1932, als sie kurz verboten war, mit weißen Hemden marschierte.

Bis 2030 haben die Neonazis den Marsch angemeldet. „Wir wurden wie Verbrecher behandelt“, sagte Jürgen Übel vom Bündnis und versicherte „Wir protestieren dennoch wieder.“

ANDREAS SPEIT