Von wegen Verweigerer

INTEGRATION Die Zahl der Menschen, die ihre Pflicht-Integrationskurse schwänzen, geht seit Jahren deutlich zurück. Dennoch fordern Unionspolitiker härtere Sanktionen

Die Zahlen stehen im krassen Widerspruch zur aktuellen Debatte

VON WOLF SCHMIDT

Die Zahl der Menschen, die einen Integrationskurs nicht antreten, zu dem sie verpflichtet sind, ist in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linksparteiabgeordneten Sevim Dagdelen hervor.

Die Zahlen stehen im krassen Widerspruch zur aktuellen Debatte, in der vor allem Unionspolitiker nach schärferen Sanktionen für vermeintliche „Integrationsverweigerer“ rufen.

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben im Jahr 2009 rund 82 Prozent der Menschen, die von den Ausländerbehörden zu einer Teilnahme verpflichtet wurden, den Integrationskurs besucht. Im Zeitraum 2005 bis 2008 waren es nur rund 73 Prozent. Ähnlich sieht es bei denjenigen aus, die von den Trägern der Grundsicherung – also den Jobcentern – zur Teilnahme verpflichtet wurden. Hier haben im Jahr 2009 rund 77 Prozent an den Kursen teilgenommen. Von 2007 bis 2008 waren es nur 60 Prozent.

Darüber hinaus schätzt das BAMF, dass circa acht Prozent der zur Teilnahme Verpflichteten ihre Integrationskurse wieder abbrechen.

Die Zahl der Nichtteilnehmer und Abbrecher mag auf den ersten Blick immer noch hoch erscheinen. Doch sie pauschal als „Integrationsverweigerer“ abzuqualifizieren, halten Experten für völlig falsch. So muss auch das Bundesinnenministerium in seiner Antwort einräumen: „Dem BAMF liegen keine Erkenntnisse darüber vor, weshalb ein bestimmter Anteil einen Integrationskurs nicht antritt oder nicht ordnungsgemäß an einem Integrationskurs teilnimmt. Die Gründe für einen Abbruch können sehr unterschiedlich sein: z. B. Krankheit, Schwangerschaft, Arbeitsaufnahme oder mangelnde Motivation.“

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ist gerade noch dabei, bei den Ländern Daten einzuholen, schließlich will sich das schwarz-gelbe Kabinett am Mittwoch mit dem Thema befassen. Doch auch hier dürfte der Rücklauf an seriösen Statistiken enttäuschend sein. Bisher ist nur eine Zahl zu unbegründetem Fehlen aus den Ländern bekannt: Gerade mal 3,8 Prozent sind es etwa in Niedersachsen.

Wie eine taz-Umfrage in den Ländern ergab, beklagen diese selbst die schlechte Datenlage. „Wir haben keine verlässlichen Zahlen“, sagte der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening. Die aktuelle Debatte über vermeintliche Integrationsverweigerer hält er denn auch für „verlogen“. „Es besteht ein dringender Bedarf, die Statistik zu verfeinern“, sagte auch Christian Storr, Leiter der Stabsstelle des baden-württembergischen Integrationsbeauftragten.

Bereits im März hatten die für Integration zuständigen Länderminister die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, die Statistiken über die Integrationskurse differenzierter zu erfassen. So solle in Zukunft aufgeschlüsselt nach Ländern erfasst werden, wie viele Teilnahmeverpflichtete unverschuldet die Kurse nicht beginnen oder abbrechen – und wie viele verschuldet. Getan hat sich bis heute nichts.