Ganztags zahlt sich aus

STUDIE Ganztagsschulen können zu besseren Noten verhelfen. Falls die Qualität stimmt

■ Fast 65.000 Eltern, Schüler, Lehrer, sonstige Pädagogen und Partner aus über 300 Ganztagsschulen haben die Forscher des Deutschen Instituts für Pädagogische Forschung, des Instituts für Schulentwicklungsforschung, des Deutschen Jugendinstituts von 2005 bis 2009 begleitet. Dreimal – 2005, 2007 und 2009 – erhoben die Forscher im Rahmen dieser Längsschnittstudie Daten. Rund 5.000 Schüler begleiteten sie in dieser Zeit als zentrale Kohorte. Das heißt, sie befragten dieselben Personen zu drei verschiedenen Zeitpunkten und verglichen die Antworten der Ganztagsschüler mit den Antworten der Schüler, die nur halbtags lernen. Daher ist es den Wissenschaftlern möglich, Aussagen über individuelle Entwicklungen zu machen.

VON ANNA LEHMANN

Herta Wölfl geht gern durch ihre Schule. „Es ist immer Leben im Haus. Auch die älteren Schüler kommen gern.“ Der besondere Hit ist der Schulleiterin zufolge das Bogenschießen. In anderen Räumen probt die Theater-AG, die Schulband musiziert, eine Studentin hilft Schülern bei den Hausaufgaben. „Unsere Schule hat sich zum Lebensort entwickelt“, freut sich Wölfl.

Seit 2005 ist die Erweiterte Realschule Wallerfangen im Saarland Ganztagsschule. Eine von vielen. Seit 2003 sind 7.000 Schulen in der Bundesrepublik zu Ganztagsschulen um- und ausgebaut worden. Die Baukosten in Höhe von 4 Milliarden Euro trug der Bund, für die Inhalte und das Personal waren die Länder zuständig.

Quantitativ ist das Programm ein Erfolg – fast jede zweite Schule ist heute eine Ganztagsschule, jeder vierte Schüler lernt ganztägig. Die Länder haben ihre Hausaufgaben aber nur halb gemacht, wie die Studie zur Entwicklung der Ganztagsschulen (STeG) zeigt. „Ganztagsschule kann sich positiv auf das Sozialverhalten und viele andere Faktoren auswirken – aber nur, wenn die Qualität stimmt“, sagte Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Pädagogische Qualität, als er die Studie am Donnerstag in Berlin vorstellt. Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut forderte: „Die Länder müssen jetzt zeigen, dass sie nicht stehenbleiben. Wir stehen mitten in der größten Transformation der Schulgeschichte.“

Die Erwartungen an das Ganztagsschulprogramm waren groß: Durch die Verlängerung des Schultags in den Nachmittag sollte die Lernfreude von Schülern steigen, soziale Unterschiede sollten kleiner werden, Kinder aus Einwandererfamilien besser integriert und Familien entlastet werden.

Jetzt steht fest: Zumindest die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert. Kinder, deren Eltern beide arbeiten, nehmen zu 80 Prozent die Ganztagsangebote an ihrer Schule wahr. Kinder, deren Mütter zu Hause sind, bleiben nur zur Hälfte nachmittags in der Schule.

Von den freiwilligen Nachmittagsangeboten wie Hausaufgabenhilfe profitieren besonders Kinder aus besser gestellten Familien. Fast 70 Prozent der Drittklässler, deren Eltern gute Jobs und gute Bildung haben, nehmen am Ganztagsbetrieb teil. Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status sind nur zu 58 Prozent dabei. Auch Kinder aus Einwandererfamilien sind weniger häufig am Nachmittag da. Diese Unterschiede haben sich während der gesamten vierjährigen Laufzeit von StEG nicht nivelliert.

Im Ganztagsbetrieb entwickeln sich soziales Verhalten und Motivation der Kinder

Erst wenn die Schüler auf weiterführende Schulen verteilt sind, gleichen sich die Teilnahmequoten an. Denn speziell Haupt-, Förder- und integrierte Gesamtschulen sind als gebundene Ganztagsschulen organisiert. Das heißt, die Anwesenheit ist für Schüler bis zum Nachmittag verpflichtend.

Schüler in gebundenen Ganztagsschulen haben ein deutlich geringeres Risiko, sitzenzubleiben. Nur 1,4 Prozent von ihnen muss eine Klasse wiederholen. In offenen Ganztagsschulen, also Schulen mit freiwilliger Teilnahme, sind rund 8 Prozent zur Wiederholung gezwungen.

Die Forscher konnten beobachten, dass soziales Verhalten, Motivation und Leistungen der Schüler sich positiv entwickeln, wenn sie dauerhaft am Ganztagsbetrieb teilnehmen. Entscheidend ist aber die Qualität des Unterrichts und der Nachmittagsbetreuung. Damit die Ganztagsschulen Bildungs- und nicht nur Betreuungseinrichtungen sind, muss der Unterricht am Vormittag mit der Nachmittagsfreizeit verzahnt sein. Heinz Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung resümiert: „Ohne zusätzliches Personal ist das nicht zu machen.“

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