Dieter Graumann über seinen neuen Posten: "Gedenken reicht nicht als Kitt"

Attraktives Gemeindeleben und Jugendarbeit: Der neue Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, will um die nächste Generation der Juden in Deutschland werben.

Will um neue Mitglieder kämpfen: Dieter Graumann. Bild: dapd

taz: Herr Graumann, Sie wurden gerade zum Präsidenten des Zentralrats der Juden gewählt, es gab nur Sie als Kandidaten - gab es wenigstens eine Diskussion?

Dieter Graumann: Ironisch gesagt: Die Zahl der Bewerber hielt sich doch sehr in Grenzen. Aber natürlich gab es eine muntere Diskussion zuvor, denn die Ratsversammlung des Zentralrats trifft sich ja nur einmal im Jahr, wir mussten einen Haushalt verabschieden, und es gab auch verschiedene Wortmeldungen zu ernsten Fragen des Judentums.

Was wollen Sie als Erstes tun?

Dieter Graumann, 60, geboren in Tel Aviv, kam als Kind nach Deutschland. Der studierte Volkswirt lebt in Frankfurt am Main. Seit 1995 ist er Vorstand der dortigen Jüdischen Gemeinde.

Nun, ich habe ja als stellvertretender Zentralratspräsident schon länger die Politik des Zentralrats vertreten, insofern komme ich nicht quasi extraterrestrisch von außen. Und im Zentralrat hat sich vieles bewährt. Es soll natürlich auch Neujustierungen geben, aber auch nicht das hektische und nervöse Bemühen, nun alles zwanghaft anders zu machen.

Nicht alle Juden, die als Kontingentflüchtlinge in den vergangenen 20 Jahren nach Deutschland eingewandert sind, sind auch Mitglieder der Gemeinden geworden. Wie kann man sie für die Gemeinden gewinnen?

Es sind etwa 100.000 Menschen, die nicht Mitglieder der Gemeinden geworden sind. Früher konnte man arische Papiere in der Sowjetunion kaufen, später zeitweise sogar jüdische - manche wollten vielleicht auch nie in die Gemeinden eintreten. Andere können nicht, weil sie nach den religiösen Gesetzen nicht die Voraussetzungen mitbringen. Eine dritte Gruppe tritt aus persönlichen Gründen nicht ein, die wir oft gar nicht kennen.

Aber wie kann man die gewinnen, die eintreten könnten?

Wir müssen um sie wirklich kämpfen, indem wir ein attraktives Gemeindeleben anbieten. Wir müssen vor allem die Jugendarbeit so gestalten, dass die junge Generation gern in die Gemeinde geht. Und wir müssen unbedingt verhindern, dass die, die in den Gemeinden sind, diese nicht auch noch verlassen.

Die jüdische Gemeinde ist recht alt. Wie kann man verhindern, dass nicht in 20 Jahren nur noch in den großen Städten jüdische Gemeinden existieren?

Ich bin da nicht so pessimistisch. Auch die kleinen Gemeinden haben ihren besonderen Sinn. Ihre Existenz ist ein Glück, für das ich sehr dankbar bin. Aber natürlich ist die Altersstruktur der Gemeinden nicht besonders günstig. Da haben wir ähnliche Probleme wie die Volkskirchen und die Gesellschaft insgesamt.

Braucht das Judentum eine stärkere Besinnung auf die Religion, weil die Erinnerung an den Holocaust mit dem langsamen Verschwinden der Erlebnisgeneration wohl immer weniger als Kitt dienen kann?

Gerade im Judentum haben wir doch die Erfahrung gemacht: Die Erinnerung mag schwächer werden, aber das Gedenken wird oft sogar noch stärker. Schließlich gedenken wir im Judentum ja auch mancher Ereignisse, die oft schon 3.000 Jahre vergangen sind. Das Holocaustgedenken darf aber nicht der einzige Kitt sein, der das Judentum zusammenhält. Wir brauchen positive jüdische Werte, die auch religiöser Art sind. Auch bei den christlichen Kirchen nimmt die Bindungskraft ab, weil die religiöse Erziehung an Bedeutung verliert. Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, Wissen und Werte des Judentums zu vermitteln und so die Herzen unserer jungen Menschen zu gewinnen.

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