Zeuge: Vormittag war falscher Zeitpunkt für Polizeieinsatz

STUTTGART 21 Ex-Bahnsprecher zeigt sich überrascht über die Polizeistrategie bei dem brutalen Vorfall

STUTTGART taz | Der ehemalige Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21, Wolfgang Drexler, hat die Polizeistrategie Ende September zur Räumung des Schlossgartens infrage gestellt.

Vor dem Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag betonte er am Freitag, dass man immer gute Erfahrungen mit Einsätzen in der Nacht gemacht habe. „Die Mobilisierungskraft in einer Stadt ist am Tag natürlich immer größer“, sagte Drexler. Dies habe er auch bei seiner letzten Besprechung über den geplanten Einsatz gesagt, bevor Drexler sein Amt als Sprecher aufgab. Er sei deshalb am 30. September selbst überrascht gewesen, dass die Polizei am Vormittag anrückte. Drexler ist SPD-Landtagsabgeordneter, gehört also der Opposition an.

Die Polizei sollte damals den Aufbau eines Bauzauns und Baumfällungen für den Bahnhofsneubau absichern. Hundertschaften waren mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen überwiegend friedliche Demonstranten vorgegangen. Die Einsatzzeit war in der Diskussion, da zur gleichen Zeit eine Schülerdemo stattfand. Die Opposition will mit dem Ausschuss einen möglichen politischen Einfluss klären.

Ein Indiz ist für die Opposition ein Gesprächsprotokoll von einem Polizeibesuch von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) am 20. September. Demnach hatte Mappus in kleiner Runde ein „offensives Vorgehen gegen Baumbesetzer“ verlangt.

Um klären zu können, wie diese Notiz zu werten ist, war am Freitag auch der Protokollant des Gesprächs, Franz Semling, als Zeuge geladen. Semling betonte, dass Mappus lediglich das Ergebnis der Gesamtgruppe dargestellt habe, dass man „keine Verfestigung“ der Lage im Schlossgarten wolle. Dies habe sich auch nur auf aktuelle Baumbesetzungen bezogen, die es damals gegeben hatte. Um die bevorstehenden Baumfällungen sei es dabei nicht gegangen.

Strittig blieb, inwiefern zwei weitere Punkte des Protokolls auch Mappus zuzuordnen sind. Direkt unter der Aussage des Ministerpräsidenten stehen weitere Spiegelstriche, bei denen es auch darum ging, dass die Bäume im Schlossgarten nach Ende der Vegetationsperiode schnellstmöglichst gefällt werden sollten. Semling sagte, da er zu diesen Spiegelstrichen im Protokoll keinen Namen genannt hat, sei dies gemeinsamer Tenor im Raum gewesen.

Die Tatsache, dass es kurz nach Mappus’ Aussage auch um den Zeitpunkt der Baumfällungen ging, ist für die Opposition ein Beleg dafür, dass mit dem offensiven Vorgehen nicht nur aktuelle Baumbesetzungen gemeint gewesen sein können.

Unterdessen befasste sich der Ausschuss auf Drängen der Opposition auch mit dem CDU-Obmann Ulrich Müller. Er hatte vor Journalisten eine „vorläufige Interpretation“ (Müller) zur Beweisaufnahme abgegeben. Dies ist jedoch gesetzlich untersagt. NADINE MICHEL