Ex-Emma-Chefin über Kristina Schröder: "Enormes Lebensrisiko"

Die ehemalige Chefredakteurin der "Emma", Lisa Ortgies, spricht über Feminismus, Partnerschaft und die verfehlte Politik der CDU-Familienministerin Kristina Schröder.

"Krippenplätze existieren nur auf dem Papier." Bild: archiv/ap

taz: Frau Ortgies, was denken Sie, wenn Familienministerin Schröder den Feminismus für überholt erklärt?

Lisa Ortgies: Frau Schröder will sich profilieren und greift nach Themen, die konträr zu ihrer Vorgängerin sind. Sie will eigene Akzente setzen - die gehen leider in die völlig falsche Richtung.

Hat der Feminismus nichts Zeitgemäßeres zu bieten?

Der Stillstand im Feminismus lässt sich gut an Frau Schröder ablesen. Sie ist Teil einer Generation junger Frauen, die sagt: Wer will, der schafft das. Man darf sich halt nur nicht für Germanistik entscheiden.

Lisa Ortgies, 44, ist Journalistin und seit 1997 Moderatorin des frauenpolitischen WDR-Magazins "Frau TV". Im Jahr 2008 löste sie kurzzeitig Alice Schwarzer als Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift Emma ab, bevor sie nach einem Zerwürfnis mit Schwarzer zu "Frau TV" zurückkehrte. Lisa Ortgies lebt mit Mann und zwei Kindern in Hamburg.

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Schröders Politik: Seit geraumer Zeit sorgt Familienministerin Kristina Schröder mit ihren Plänen für Furore: Einführung eines Referats für Männerfragen, Ablehnung der Frauenquote, Rückzug von der Erweiterung der Vätermonate beim Elterngeld - aber kein Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger.

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"Spiegel-Affäre": Nach einem Interview mit dem Spiegel in der letzten Woche schaukelte sich die Debatte hoch. Schröder griff im Interview die Feminismusbewegung und Alice Schwarzer direkt an. Es folgte ein Schlagabtausch in diversen Boulevardblättern.

Wie kommt sie dazu?

Offensichtlich hat sie die wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse zur Aktualität von Rollenbildern verpasst. Dabei ist nicht alles leichter geworden: Früher wurde klar ausgesprochen, dass Frauen bestimmte Posten nicht bekommen. Das konnte man offensiv angehen. Heute gibt es eine politisch korrekte Emanzipationsfolklore, da werden andere Gründe vorgeschoben. Die gläserne Decke gibt es nicht mehr, dafür kämpfen Frauen gegen Gummiwände.

Was tun junge Frauen dagegen?

Gerade unter jungen Menschen wird so getan, als existiere keine Ungleichbehandlung mehr. Später zwingen die Bedingungen doch in Rollenmuster: fehlende Kita-Plätze, typische Partner- und Berufswahl. Das gilt dann als individuelle Schuld und eigenes Versagen. Junge Frauen steuern eher auf ein Burn-out zu, als dass sie dem Chef sagen: So nicht!

Woher kommt das?

Das ist eine Überanpassung ans kapitalistische System. Das ist in einer männlichen Monokultur entstanden, bei der die Frau zu Hause blieb. Darunter leiden heute Frauen und Männer.

Also müssen sich vor allem die Arbeitsstrukturen ändern?

Ja, aber Gleichberechtigung hat mehrere Aspekte: Die idiotische deutsche Präsenzkultur, die Verfügbarkeit und Qualität von Krippenplätzen.

Da hat sich doch etwas getan.

Krippenplätze existieren nur auf dem Papier. Wo das Geld in den Kommunen herkommen soll, ist nach wie vor ein Rätsel.

Deshalb gibt es einen Rollback zur Mutterrolle?

Ich kann verstehen, dass sich hochqualifizierte Frauen, die gegen Gummiwände kämpfen, aus Erschöpfung in die Mutterrolle zurückziehen. Das birgt aber ein enormes Lebensrisiko. Mit dem neuen Unterhaltsrecht landen sie nach einer Trennung im Zweifel auf Hartz IV. Und besonders schizophren: Durchs Ehegattensplitting fördert die Regierung die traditionelle Rollenverteilung.

Was bedeutet das für Familien?

Früher waren kleine Kinder Garant für eine stabile Beziehung, inzwischen sind sie eher ein Garant für eine Trennung. Männer und Frauen geraten bei den aktuellen Bedingungen unter immensen Druck. Daran zerbrechen immer öfter Beziehungen.

Geht es auch anders?

Man braucht klare Abmachungen, bevor das erste Kind da ist: Wann kommt der Wiedereinstieg, welche Vorschläge mache ich dem Arbeitgeber, was passiert bei einer Trennung. Zu oft denkt man: Das ergibt sich.

Mit gleichberechtigten Rollen ändern sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht.

Nein. Das bedeutet Ärger, Stress und Druck - für beide Partner.

Warum sollten sich Familien dann dieses Modell antun?

Sie kommen wahrscheinlicher um eine Trennung herum.

Hat das bei Ihnen geklappt?

Ja. Aber ich weiß, wovon ich rede, und auch bei uns war es manchmal sehr knapp.

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