Autozündeln nach Mitternacht

PROZESS In Berlin steht ein Mann vor Gericht, der 102 Autos angezündet hat. Sein Motiv bleibt diffus

BERLIN taz | Ein Berliner, der im vergangenen Jahr 102 Autos angezündet hat, hat vor Gericht ein Geständnis abgelegt und Reue gezeigt. Er bitte „die Geschädigten sowie die Öffentlichkeit nachhaltig und ernsthaft um Vergebung“, hieß es in einer Erklärung, die der Angeklagte André H. seinen Anwalt verlesen ließ. Ihm bereite „noch immer heftigste Gewissensbisse“, dass auch Menschen in Gefahr geraten sind. Da in vier Fällen auch Häuser betroffen waren, wirft die Staatsanwaltschaft dem 28-Jährigen schwere Brandstiftung vor. Darauf steht eine Haftstrafe von einem bis 15 Jahren.

Der Prozessauftakt vor dem Landgericht Berlin fand am Freitag unter großem Medieninteresse statt, denn im vergangenen Sommer waren die nächtlichen Autobrände während des Wahlkampfes zum Abgeordnetenhaus zu einem Politikum geworden. Als Täter wurden auch Linke vermutet.

André H. steckte die Autos zwischen Mitte Juni und Ende August stets mit einem Grillanzünder in Brand, meist zwischen Mitternacht und zwei Uhr. Ziel waren Modelle der oberen Mittelklasse, Audi, BMW oder Daimler Benz. Warum H. die Autos anzündete, blieb am ersten Verhandlungstag diffus. Sicher scheint: H. steckte in einer Lebenskrise. Der gelernte Maler und Lackierer lebte von Arbeitslosengeld II, ab und an jobbte er. Seine Mutter war krank. Kurz bevor er mit dem Zündeln begann, bekam er eine Abfuhr von einer Frau. Auch bei seiner Tätigkeit als „Missionsleiter“ der Mormonen lief nicht alles so, wie er sich wünschte. Hinzu kamen Schulden.

Auf direkte Fragen des Vorsitzenden Richters und des Staatsanwalts antwortete H. wortkarg. „Ich war sicherlich auch frustriert, sag ich mal“, war eine der konkreteren Aussagen. In den Vernehmungen der Polizei hatte er auf Nachfragen auch angegeben, es ginge ihm auch um ein Gefühl von Ungerechtigkeit im Blick auf die Leute, die sich so teure Autos leisten können. Deshalb habe er daran seinen Frust abgelassen.

Hs. Verteidiger Mirko Röder nennt „Sozialneid“ als Motiv seines Mandanten. Als H. eine Arbeit in einem Hotel begonnen habe, habe er dann auch mit der Brandstiftung aufgehört. Zu diesem Zeitpunkt wurde H. schon von der Polizei beschattet. Die Ermittler waren ihm mit Aufnahmen aus Überwachungskameras auf die Spur gekommen. Als sie H. mit den Vorwürfen konfrontierten, unterstütze dieser die Ermittlungen. Ohne seine Mithilfe hätten ihm die Taten wohl gar nicht nachgewiesen werden können.

Geklärt werden konnte am ersten Prozesstag, woher H. die Idee hatte, die Autos mit Grillanzündern in Brand zu setzen. „Aus dem Fernsehen“, sagte er. Er habe da eine Reportage gesehen. Der Prozess wird fortgesetzt.

SEBASTIAN ERB