Polizisten in der Küche und vor dem Haus

ÜBERWACHUNG Ein Straftäter wurde vor zwei Jahren aus der Sicherheitsverwahrung entlassen, wird seither aber auf Schritt und Tritt überwacht. Das Bundesverfassungsgericht übt Kritik – weil sich die Dauerbeobachtung auf veraltete Gutachten stützte

Spricht er Frauen an, eilt ein Polizist herbei und berichtet über das Vorleben des Mannes

KARLSRUHE taz | Die Rund-um-die-Uhr-Überwachung von entlassenen Sicherungsverwahrten muss auf aktuelle psychiatrische Gutachten gestützt werden. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und gab einem Betroffenen teilweise recht.

Der 53-jährige Mann war 1985 wegen zweier Vergewaltigungen zu einer mehrjährigen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Im September 2010 kam er frei, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung beanstandete. Er lebt seitdem in Freiburg.

Da der Mann noch als gefährlich gilt, wird er rund um die Uhr von jeweils fünf Polizisten überwacht. Vor dem Haus steht ein Polizeifahrzeug mit drei Polizisten, zwei weitere Beamten harren in seiner Küche aus. Wenn er das Haus verlässt, folgen sie ihm. Wenn er Kontakt zu Frauen aufnimmt, werden diese von der Polizei über sein Vorleben informiert. Nur bei Kontakten mit Rechtsanwälten, Ärzten und Behörden hält die Polizei Abstand.

Der Mann klagte gegen diese Dauerobservation, weil es für sie keine Rechtsgrundlage gebe. Sie zwinge ihn zu einem Leben in Isolation und behindere seine Resozialisierung. Doch das Verwaltungsgericht Freiburg billigte in einem Eilbeschluss die Maßnahme ebenso wie der Verwaltungsgerichtshof Mannheim.

Die Verfassungsbeschwerde des Mannes hatte jetzt aber Erfolg. Die Dauerüberwachung des Mannes sei ein schwerwiegender Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde. Ihm werde die Möglichkeit zu einem eigenverantwortlichen Leben weitgehend genommen. Der Eingriff hätte nicht mit einem psychiatrischen Gefahrengutachten vom März 2010 gerechtfertigt werden dürfen. Denn zu diesem Zeitpunkt saß der Mann noch in Haft. Wie er sich in Freiheit bewährt, konnte der Gutachter nicht berücksichtigen.

Als Rechtsgrundlage für eine Dauerüberwachung ließen die Verfassungsrichter zunächst zwar die sogenannte polizeiliche Generalklausel gelten. Danach kann die Polizei bei Gefahr Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen. Die Richter empfahlen dem baden-württembergischen Landtag jedoch eine ausdrückliche Regelung der Dauerüberwachung im Polizeigesetz.

Das Verwaltungsgericht Freiburg muss nun neu über die Überwachung entscheiden.

(Az. 1 BvR 22/12) CHRISTIAN RATH