Pflege unter Palmen: bezahlbare Geborgenheit

ALTERNATIVE Die ersten Alten wandern aus und erleben eine ganz andere Wertschätzung

BERLIN taz | Gardine auf. Mund auf, Essen rein, Mund zu. Und schon wieder ist die Zeit vorbei: Deutschland, das ist das Land, in dem die Versorgung nach Pflegestufe und Minutentakt kalkuliert wird. Dies ist neben dem Pflegeengpass und den steigenden Kosten ein Grund, über Alternativen für die letzte Lebensphase nachzudenken: Warum dabei nicht in die Ferne schweifen?

Ein Weg, der zunehmend ins Blickfeld der Betroffenen rückt, sind Pflegeeinrichtungen im Ausland, die speziell auf Kundschaft aus Deutschland und der Schweiz ausgerichtet sind. Im Internet findet man zum Beispiel ein Portal für Pflegeheime im Ausland, von Griechenland bis zu den Philippinen und Thailand. Spitzenreiter dabei ist Spanien mit 18 Adressen, gefolgt von Thailand. Die Angebote in Thailand sind gezielt auf deutsches und Schweizer Publikum ausgerichtet und häufig unter deutscher oder schweizerischer Leitung. Die Kosten für eine dortige Betreuung werden als etwa halb so hoch wie in Deutschland und der Schweiz angegeben.

Hervorgehoben wird, dass etwa in Thailand der Umgang mit alten Menschen kulturell als etwas Positives betrachtet wird, weil man alten Menschen mit Wertschätzung begegnet und glaubt, durch Dienst an Älteren etwas Gutes zu tun. Die Pflegejobs gelten daher als attraktiv. Die vermeintliche Sprachbarriere führt dazu, dass unlogische Dialoge mit Dementen nicht zu Missverständnissen führen können, weil die Kommunikation auf einer anderen, nonverbalen Ebene stattfindet, etwa über Berührungen. Dies ist aber auch nur möglich, weil die Betreuten feste Bezugspersonen haben, die ständig um sie sind und sie daher wirklich gut kennenlernen können. Die zunächst fremde Umgebung wird von einigen Dementen einfach „eingemeindet“: Da kommt es auch schon mal vor, dass eine Deutsche mit ihrer thailändischen Pflegerin spazieren geht und plötzlich sagt: „Guck, da bin ich zur Schule gegangen.“ Ihre Erinnerungen hat sie schlicht ins Ausland mitgenommen, wie es ein Heimleiter beschreibt.

Ein Internet-Chat anlässlich einer entsprechenden Stern-Reportage offenbarte interessanterweise, dass sich viele eher einen eigenen Lebensabend in Thailand vorstellen können, als ihre Eltern dorthin zu bringen. So wird ein Umzug der Eltern dorthin als Abschieben empfunden, während für sich selbst dieser Weg durchaus überlegenswert erscheint. Die Kehrseite dieser neuen Perspektive offenbart ein Online-Artikel aus der Neuen Züricher Zeitung vom 5. April. Eine 65-Jährige hatte aus Kostengründen ihren halbseitig gelähmten und dementen 74-jährigen Lebensgefährten unter Verschleierung gegenüber Behörden und Nachbarn nach Indien ins Pflegeheim gebracht, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Sie wurde dafür mit einer zweijährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung wegen Aussetzung des Partner verurteilt, weil man davon ausging, dass dies nicht der Wille des Betreffenden gewesen war. GERLINDE SEIDEL

Gerlinde Seidel, 55, Patentanwältin aus Wilhelmsfeld bei Heidelberg, ist Genossin seit 2002