Trotz Gezänk – eine dritte Runde geht noch

SONDIERUNG Die Gespräche zwischen SPD und Union waren lang und laut. Dann macht Katja Kipping ein Angebot

„Wenn es eine Große Koalition gibt, muss die auch Großes schaffen“

SPD-VORSTAND CARSTEN SIELING

AUS BERLIN ANJA MAIER

Vor acht Jahren, erinnert sich Andrea Nahles, gab es wenigstens Alkohol. „Heute gab’s nix. Vielleicht war’s auch besser so.“ Ja, war wohl besser so. Denn auch ohne Bierchen hat es bei den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD mächtig gekracht.

Es ist nach Mitternacht, die SPD-Generalsekretärin ist zu den wartenden Journalisten gekommen, um einen Überblick zu geben, was in den acht zurückliegenden Stunden verhandelt wurde. Genauso wie die Generalsekretäre der Union, Alexander Dobrindt (CSU) und Hermann Gröhe (CDU), spricht Nahles diplomatisch von Schnittmengen und Differenzen, von Erkenntnissen und Prioritäten. Die Frage aber, ob sie den SPD-Mitgliedern momentan empfehlen könne, Koalitionsgesprächen mit der Union zuzustimmen, beantwortet Nahles mit einem „Nein“.

Denn inhaltlich sind die Verhandlungspartner einander kaum näher gekommen. Zwar hat die Union beim Komplex Zuwanderung, Integration und Flüchtlingspolitik Aufgeschlossenheit gezeigt. Und einmal wurde es beim Thema Betreuungsgeld zwischen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und CSU-Mann Dobrindt sehr laut. Aber beim umstrittensten Thema, der Finanzierungsfrage, bewegen sich CDU und CSU keinen Millimeter auf die SPD zu. Steuererhöhungen und der gesetzliche Mindestlohn sind jedoch Bedingungen, ohne die die SPD-Basis dem Einstieg in Koalitionsverhandlungen nicht zustimmen kann und wird.

Für Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner ist es „nicht erstaunlich, dass die Unterschiede zur Union jetzt zutage treten“. Die SPD sei nun mal nicht die FDP, der es nur um Posten, weniger um Inhalte gegangen sei. Einer dieser Inhalte sind Steuererhöhungen. „Steuergerechtigkeit ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit“, betont Vorstandsmitglied Hilde Mattheis gegenüber der taz, „diesen Aspekt haben wir immer so kommuniziert.“

Auch SPD-Finanzexperte Carsten Sieling, ebenfalls im Parteivorstand, erklärt selbstbewusst: „Wenn es eine Große Koalition gibt, muss die auch Großes schaffen. Wer für Bildung, Infrastruktur oder die finanzielle Stabilität für Länder und Kommunen nicht die Steuern erhöhen will, bewegt sich im Reich der Fantasie.“ Aus SPD-Kreisen ist zu hören, dass die Union nicht einmal Vorschläge zur Finanzierung ihrer eigenen Wahlversprechen gemacht habe, etwa der Mütterrente. Stattdessen hat man darauf verwiesen, dass die Projekte stets unter dem Vorbehalt gestanden hätten, dass sie zu finanzieren seien. So kann man das natürlich auch sehen.

Gleichwohl haben sich die beiden Seiten darauf verständigt, erneut miteinander reden zu wollen. Vorausgesetzt, die am Dienstagabend begonnene zweite Sondierungsrunde mit den Grünen läuft ins Leere. Oder die SPD hat noch eine ganz andere Verabredung.

Denn nun hat sich Linke-Parteichefin Katja Kipping im Koalitionspoker zu Wort gemeldet. Sie schlägt vor, dass Linke und Grüne die Sozialdemokraten zu Sondierungsgesprächen einladen. „Es ist absurd“, sagt Kipping gegenüber der taz, „die SPD bettelt bei der Union um Zugeständnisse bei Mindestlohn und Reichensteuern, will aber gleichzeitig nicht mit Grünen und Linken sondieren, wo all das kein Streitthema wäre.“

Gemeinsam könne man jetzt den Sondierungsstau auflösen und eine Agenda für Gespräche mit der SPD entwickeln. „Höhere Löhne und Renten, höhere Steuern für Reiche, Investitionen in den sozialökologischen Umbau und eine soziale Energiewende – auf dieser Basis könnten wir zusammen die SPD zu einem Gespräch über Lösungen einladen. Dann können wir statt Parolen Argumente austauschen.“

Vielleicht gäbe es dann sogar Alkohol.

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