Die Vorliebe der NSA für Kanzler-Handys

SPIONAGE Auch das Handy von Exkanzler Schröder wurde wohl ausgespäht. Justizminister empört

„Der Schutz der Sicherheit darf kein Deckmantel sein“

JUSTIZMINISTER HEIKO MAAS

BERLIN taz | Es war eine Enthüllung mit Ansage: Es sei eher unwahrscheinlich, ließ der NSA-Whistleblower Edward Snowden jüngst wissen, dass nur die Kanzlerin, nicht aber weitere Regierungsmitglieder vom US-Geheimdienst abgehört wurden. Und schon wird bekannt, dass auch Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) im Visier stand.

Schon im Oktober hatten New York Times und Bild berichtet, dass nicht nur das Handy von Angela Merkel (CDU), sondern auch das ihres Vorgängers angezapft wurde. Nun legten Süddeutsche und NDR nach. Spätestens seit 2002 habe Schröder unter der Nummer „388“ auf der Überwachungsliste der NSA gestanden. Grund sei dessen Ablehnung einer Irak-Invasion gewesen, werden NSA-Insider zitiert. Erfasst wurden nicht nur Verbindungsdaten, sondern auch Inhalte von Telefonaten und SMS.

Die Enthüllung beruht auf der Neuinterpretation des Snowden-Papiers, mit dem im Herbst die Merkel-Abhörung bekannt wurde. Laut NSA-Kennern richtete sich die Aktion nicht gegen konkrete Personen, sondern gegen deren Funktionen. Warum genau Merkel abgehört wurde, beantwortet die NSA bis heute nicht. US-Präsident Barack Obama versicherte nur, dass Merkels Handy nicht mehr ausgeforscht werde. Der Regierungssprecher sagte am Mittwoch, das Kanzleramt habe keine eigenen Erkenntnisse zu dem Vorgang. Es gehe aber weniger um Regierungschefs als um den Schutz der Bürgerrechte und um Vertrauen.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der im Oktober Snowden besucht hatte, sagte, er könne bestätigen, dass Schröder „und vermutlich auch andere aus der damaligen rot-grünen Bundesregierung“ abgehört wurden. Konkret nannte Ströbele Exaußenminister Joschka Fischer. Verärgert äußerte sich Justizminister Heiko Maas (SPD). „Der Schutz der Sicherheit darf kein Deckmantel sein“, twitterte er. Wenn die USA Kanzlerhandys abhörten, sei das kein Beitrag zum Schutz vor Terror.

Bleibt die Frage: Was folgt? Ein No-Spy-Abkommen mit den USA hält selbst die Bundesregierung inzwischen für unrealistisch. Beim geplanten NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag behakeln sich Opposition und Koalition über den Auftrag. Offen ist, wie weit die Mitverantwortung der letzten Bundesregierungen aufgearbeitet werden soll. Die Bundesanwaltschaft prüft seit Monaten die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens in Sachen NSA. Eine Sprecherin sagte, die aktuelle Berichterstattung werde in die Prüfung einbezogen.

Und Schröder? Der lässt sich zitieren, er sei damals nicht auf die Idee gekommen, von den USA überwacht zu werden. „Jetzt überrascht mich das nicht mehr.“ KONRAD LITSCHKO