Minister dürfen politisch sein

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT Trotz Neutralitätspflicht durfte Familienministerin Manuela Schwesig im Thüringer Wahlkampf gegen die NPD agitieren. Die Partei hatte dagegen geklagt

KARLSRUHE taz | Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) durfte vor der Thüringen-Wahl dazu aufrufen, nicht die NPD zu wählen – obwohl sie als Ministerin zu staatlicher Neutralität verpflichtet ist. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und lehnte eine Klage der NPD ab.

„Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“ Das sagte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) in einem Interview, das am 25. Juni in der Thüringischen Landeszeitung erschien. Die NPD erhob daraufhin eine Organklage gegen die Ministerin. Sie habe die Pflicht zu staatlicher Neutralität und auch die Chancengleichheit der Parteien verletzt. Sie habe im Interview eindeutig als Ministerin gesprochen, weil es fast nur um Projekte ihres Ministeriums ging.

Das Bundesverfassungsgericht nutzte den Fall für ein Grundsatzurteil. So seien die Staatsorgane generell zur Neutralität in Wahlkämpfen und in der politischen Auseinandersetzung verpflichtet, bekräftigten die Richter. Die Regierung und ihre Minister dürften also nicht zur Wahl oder Nichtwahl bestimmter Parteien aufrufen. Sie dürften auch nicht Mittel der Ministerien und Behörden für Wahlkampfzwecke einsetzen.

Allerdings sei eine strikte Trennung zwischen Ministeramt und Parteipolitik nicht möglich, betont das Gericht. So dürfen Minister auch Interviews zu parteipolitischen Themen geben, obwohl sie das Medieninteresse vor allem ihrer Prominenz als Regierungsmitglied verdanken.

Außerdem könne ein Minister in einem Interview oder einer Talkshow auch fachliche und parteipolitische Inhalte vermischen. Er sei im jeweiligen Kontext nicht auf eine bestimmte Rolle festgelegt, so die neue und etwas gelockerte Karlsruher Linie.

Deshalb kamen die Richter auch zu dem Schluss, dass Schwesig die staatliche Neutralität nicht verletzt hatte. Sie habe ihren Anti-NPD-Aufruf im Interview nicht in ihrer Rolle als Ministerin gemacht.

„Das Urteil sollte nicht als Freifahrtschein für die Zukunft missverstanden werden“, erklärte Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Schwesig hätte ihren Aufruf nicht bei einer Pressekonferenz im Ministerium formulieren oder auf dessen Homepage veröffentlicht dürfen. Ob die Neutralitätspflicht eingehalten wird, unterliege der „uneingeschränkten“ Karlsruher Kontrolle, heißt es in der Entscheidung.

CHRISTIAN RATH