Schulterklopfen in Düsseldorf

ROT-GRÜN Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihre grüne Stellvertreterin Sylvia Löhrmann loben ihre Regierungsarbeit. Aber eine Vision für Nordrhein-Westfalen haben sie nicht

DÜSSELDORF taz | Stolz sind Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) auf ihr Nordrhein-Westfalen. Das Land habe sich zum Zentrum der Gegenbewegung zur rechtpopulistischen Pegida entwickelt, sagt Kraft. Und zwar ganz von alleine. „Das ist nicht unser Verdienst“, sagt Löhrmann bei der gemeinsamen Jahresauftaktpressekonferenz in Düsseldorf. „Es ist schön zu sehen, dass die Menschen für die Werte der Französischen Revolution auf die Straße gehen.“

Zwischen Kraft und Löhrmann stimmt die Chemie sichtbar. Ihre gemeinsame Regierung hat die Hälfte der Legislaturperiode hinter sich. Die beiden ziehen Zwischenbilanz, natürlich eine positive. Sie spielen sich die Bälle zu, lächeln sich an, ab und zu legt Kraft ihre Hand leicht auf Löhrmanns Arm. Das Lob über das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürger gegen Pegida und die Ableger Bogida, Kögida, Dügida ist ein guter Auftakt. Und so geht es weiter: Mehr als zwei Drittel der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von 2012 seien erledigt oder würden gerade umgesetzt, sagt Kraft. Sie hat eine Liste mit mehr als 70 Punkten mitgebracht, von der Rauchmelderpflicht über 120 neue Stellen für den Arbeitsschutz bis zum Ankauf von CDs mit Steuersünderdaten. „Für uns spricht diese Bilanz eine klare Sprache“, sagt Kraft. Die des Erfolgs, findet sie.

Doch ihre Bilanz zeigt vor allem eins: das Klein-Klein der Düsseldorfer Regierung. Rot-Grün in NRW hat kein großes Projekt. Die Regierung hat keine Vision, wie das Land in zehn Jahren aussehen könnte, und keine Lösungen für die vom Strukturwandel gebeutelten Regionen etwa im Ruhrgebiet, in denen Menschen ohne berufliche Perspektive auf verrottende Industrieruinen blicken.

Auch für dieses Jahr ist kein großer Wurf zu erwarten. „NRW 4.0 – Heimat in der digitalen Welt“ ist Krafts Losung für 2015. Es wirkt ein wenig bizarr, wie sie ein Sammelsurium von Projekten wie die Gesprächsreihe „Digitaler Aufbruch“ mit Vertretern von Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft ankündigt. Man könnte meinen, sie hat erst vor Weihnachten von der Existenz des Internets erfahren. Sie habe sich in den vergangenen Wochen mit dem Thema digitaler Wandel auseinandergesetzt, sagt Kraft. „Das ist hoch spannend.“

Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin ist ungebrochen populär. Sie pflegt ihren präsidialen Habitus als Landesmutter. In Berlin kämpft Kraft für mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich. Damit NRW 2020 die Schuldenbremse einhalten kann. Sie pflegt einen kooperativen Regierungsstil. Der grüne Umweltminister Johannes Remmel und Schulministerin Löhrmann packen ihre Projekte wie die Reform des Jagdgesetzes oder die Inklusion beherzt und gegen gesellschaftliche Widerstände an. Damit können sie im eigenen Lager punkten.

Trotzdem hat Rot-Grün in NRW an Ausstrahlung verloren. Nach der Ablösung von Schwarz-Gelb 2010 ist die damalige rot-grüne Minderheitsregierung mit Schwung gestartet. Seit den Neuwahlen 2012 verfügt Rot-Grün über eine stabile Mehrheit – in Umfragen zurzeit aber nicht mehr. Noch hätte Kraft Zeit, ihrer Regierung mit neuen Köpfen Schub zu geben. Aber davon hält sie nichts. „Ich denke nicht über eine Kabinettsumbildung nach“, sagt sie. ANJA KRÜGER