Für Mehmet und Ayse ist der Aufstieg zum Abi Glückssache

BILDUNG Eine Studie zeigt: LehrerInnen und Schulsystem entmutigen Einwandererkinder zu oft

Die Erfolgreichen hatten oft eine Vertrauensperson, die sich für sie einsetzte

BERLIN taz | Türkischstämmige ManagerInnen, Juristen oder LehrerInnen in Deutschland hatten laut einer am Dienstag vorgestellten Studie des Instituts für Migrationsforschung und interkulturellen Studien (Imis) der Universität Osnabrück vor allem zwei Dinge: Glück, eine Schlüsselperson zu haben und einen starken Willen. Die interviewbasierte Studie gibt Einblick in eine Schullandschaft, die Einwandererkinder ausbremst.

„Und dann hab ich jedes Jahr meine Lehrer angefleht. Sechste, siebte, achte, neunte Klasse, jedes Jahr bin ich zu meinem Klassenlehrer gegangen und hab ihm gesagt: „Herr Soundso, ich möchte auf die Realschule!“, erzählt eine Studienteilnehmerin. Weil sich die Lehrer beharrlich weigerten, sie den Realschulabschluss machen zu lassen, ging sie für ein Jahr in die Türkei. Dort absolvierte sie die 10. Klasse. Die Zitatgeberin hat schließlich ein Studium absolviert und arbeitet in Berlin erfolgreich als Juristin.

Sie ist eine von 75 TeilnehmerInnen der Studie „Pathways to Success“, die sich mit erfolgreichen Bildungs- und Berufskarrieren von Nachkommen türkischer Einwanderer beschäftigt.

Eine der großen Hürden, die die Studie findet: Die auf oftmals subjektiven Kriterien beruhende Gymnasialempfehlung. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer habe zunächst keine Empfehlung bekommen, erklärt Forscherin Christine Lang bei der Vorstellung der Studie. „Nur weil sich Familie, ältere Geschwister, einzelne Lehrer oder Freunde für sie einsetzten, kamen sie auf das Gymnasium.“ Dabei sei der unmittelbare Weg über das Gymnasium der Königsweg für viele erfolgreiche Einwandererkinder, nur ein Bruchteil habe sich von einer niedrigeren Schulform hochgearbeitet.

Viele LehrerInnen haben Vorbehalte gegenüber Kindern aus Einwandererfamilien. Sie meinen, Eltern, die nicht aus Deutschland kämen, könnten den Kleinen beim Schulstoff ja nicht helfen. Die Studie zeigt: Das ist Quatsch. Eltern müssen nicht unbedingt formelle Bildungsabschlüsse besitzen, damit ihre Kinder gut in der Schule sind oder das Gymnasium packen. Wichtig ist, dass sie sie emotional unterstützen. Gerade in den Familien, in denen die Schule auch zu Hause Thema war, lief der Bildungsweg der Befragten gut – unabhängig vom Bildungsgrad der Eltern.

Neben den strukturellen Problemen, wie dem früh selektierenden Schulsystem, sind oft einzelne Personen Katalysatoren für den Bildungsaufstieg. Viele erfolgreiche Menschen mit Migrationshintergrund hatten das Glück, eine Vertrauensperson zu finden, die sich für sie einsetzte. Das können einzelne Lehrer gewesen sein, Nachbarn, Geschwister oder auch die Eltern. Umgekehrt funktioniert es aber genauso. Die Studie zählt viele Fälle auf, in denen einzelne Personen gezielt gegen die Schülerinnen und Schüler arbeiteten. „Dass der Erfolg von einzelnen Personen abhängt, ist oftmals reiner Zufall und entspricht nicht dem Prinzip der Chancengleichheit“, kritisieren die Studienautoren.

In anderen Ländern wie Schweden, den Niederlanden und Frankreich sähe dies anders aus. Dort hat sich bereits in der zweiten Generation der Zugewanderten eine „nennenswerte neue Mittelschicht“ gebildet. Sie verdient gut und kann ihren Kindern wiederum noch bessere Perspektiven bieten. In Deutschland bleibt der soziale Aufstieg jedoch Ausnahme.

Die WissenschaftlerInnen fordern, das Bildungssystem zu ändern, und warnen: Gelinge der zweiten Generation von Einwanderern nicht der Bildungsaufstieg, fielen deren Kinder vielfach in traditionelle Rollenbilder zurück, so Jens Schneider vom Imis: „Die Jungs wollen so schnell wie möglich arbeiten, sei es auch ohne Ausbildung, und die jungen Frauen verschwinden früher in die Familien.“ „Viel verlorenes Potenzial und ein Risikofaktor für soziale Spaltung in Deutschland“, so das Fazit der Studie. ALINA LEIMBACH