Besser alt werden im Norden

PFLEGE Wer in Norwegen oder Schweden zum Pflegefall wird, bekommt Hilfe von der Kommune. Ein Modell für Deutschland? Eher nicht, meinen Experten hierzulande. Aber nachdenken lohnt

Wem der Pflegeservice an einem Ort nicht gefällt, kann woanders hinziehen. In Schweden und Dänemark wird das gern gemacht

BERLIN taz | Die Skandinavier machen es mal wieder vor. Nicht nur in „Kinder- und Vereinbarungsfragen“ liegen die Nordländer vorn, sondern auch, wenn es um alte Menschen geht. Das war der Tenor auf einer Tagung des Zukunftsforums Familie (ZFF) und der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt-Stiftung am Donnerstag in Berlin.

Länder wie Schweden, Norwegen und Dänemark haben wie Deutschland ein Demografieproblem. Aber die Zahl der Alten steigt nicht so schnell wie hierzulande. Während in Deutschland der Anteil der über 65-Jährigen von 1994 an um gut ein Drittel gestiegen ist, liegt die sogenannte Alterungsrate in Island bei nur rund 12 Prozent.

Ursache dafür ist der radikale Umbau der Sozialsysteme im Norden seit den 60er Jahren. Dabei werden Frauen den Männern gleichgestellt, Väter den Müttern und Alte den Jungen. Fürsorge ist keine private Aufgabe, sondern eine staatliche, es gibt eine Vielzahl „wohlfahrtsstaatlicher Dienstleistungsangebote“, wie die Leipziger Politologin Cornelia Heintze es ausdrückt.

Wie sieht das bei der Pflege konkret aus? Wie in Deutschland wollen auch die Skandinavier im Alter lieber zu Hause wohnen als in einem Alters- oder Pflegeheim, auch wegen der hohen Kosten. Trotzdem bedeutet das nicht, dass Pflege zu einem privaten Problem wird.

Während hierzulande vor allem Ehefrauen, Töchter und Schwiegertöchter einspringen, übernehmen das in den Nordstaaten hauptsächlich professionelle Pflegedienste. Wer sich um seine Eltern oder andere nahestehende Personen lieber selber kümmern will, kann das tun. Dafür bekommen die Pflegenden – außer in Finnland – eine Lohnersatzleistung. In Dänemark, Schweden und Norwegen sind die Pflegenden dann so etwas wie Angestellte der Kommunen.

Wer in Deutschland Angehörige pflegt, macht das in der Regel ehrenamtlich. Darüber hinaus schränken viele ihre Berufstätigkeit ein. Mit fatalen Folgen für Einkommen, Rente und die eigene Gesundheit. Vielfach sind Pflegende nach wenigen Jahren selbst Pflegefälle. Das wird in Norwegen verhindert, sagte Einar Øverbye, Professor an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Oslo und Akershus. „Bei uns wird eingegriffen, bevor die Familie ausgebrannt ist“, sagte Øverbye.

Wichtiger Akteur dabei ist die Kommune: Die organisiert und kümmert sich um die Pflege. Regelmäßige Pflege- und Fahrdienste gehören zur „Normalausstattung“, ebenso wie Tagesheime und Seniorenstätten. Im Unterschied zu Deutschland, wo es all das auch gibt, sind bestimmte Pflegeleistungen kostenlos. Um das zu bezahlen, können die Kommunen frei über die Gestaltung ihrer Steuern bestimmen. Ebenso können sie einkommensunabhängige Gebühren erheben. Im Notfall springt der Staat mit Finanzspritzen ein. Der zahlt auch, wenn beispielsweise eine Wohnung barrierefrei umgebaut werden.

Norwegen und Dänemark verwenden rund 2,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Pflege. In Schweden sind das etwa 3 Prozent, in Deutschland nur knapp 1 Prozent.

Nordische Pflegedienste sind – anders als in Deutschland – keine privaten Unternehmen, sondern kommunale Einrichtungen. Trotzdem herrscht Wettbewerb unter den Anbietern. Mit Folgen: Wem als Betroffener ein Pflegedienst nicht gefällt, muss ihn nicht ertragen. Er kann an einen anderen Ort ziehen, wenn der Service dort besser ist. In Schweden und Dänemark wird das laut einer Expertise der Friedrich-Ebert-Stiftung gern wahrgenommen.

Ein Modell für Deutschland? Man sollte nicht kopieren, sagt Birgit Merkel, Vizechefin des ZFF. Es lohne sich aber, über einige Ideen nachzudenken.

SIMONE SCHMOLLACK