Nachruf: Lass fünfe gerade sein und lebe länger

Großmütig sein: Dafür wurde George Tabori von seinem Publikum und vom Theater geliebt. Am Montag starb der Theatermacher in Berlin.

George Tabori, 1914-2007 Bild: ap

Er hat das Sterben schon einmal geprobt, wie viele Motive seines Lebens, in einem seiner letzten Stücke: In "Gesegnete Mahlzeit", uraufgeführt im Mai bei den Ruhrfestspielen, stirbt der Dichter Dirty Don in Venedig in den Armen der Prostituierten Amanda Lollypop. Weil bei Tabori aber der Trost nie fehlt, wird er prompt wiedergeboren von der schönen Amanda. Man kann dem alten Mann nur wünschen, dass seine letzten Fantasien ähnliche Wege gingen.

Am Dienstag teilte Klaus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, den Tod des 93-jährigen Regisseurs und Dichters mit, der bis zuletzt für dieses Theater schrieb. Er war ein Schutzheiliger des Hauses, unangreifbar fast durch seine Geschichte und seinen Umgang mit ihr. Er wurde oft, nicht nur im Berliner Ensemble, auf eine Art Denkmalssockel gehoben, bei Geburtstagsfeiern, Preisverleihungen oder in Dramatikersalons - und er stand tapfer da oben und enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht: den Atem der Geschichte, in allem, was er erzählte, und sei es noch so anekdotisch, spüren zu lassen und selbst über die bittersten und schrecklichsten Erfahrungen mit großer Emphase und einer Wendung ins Groteske zu reden. Erleichterung, das bot er immer an.

Seine letzte Inszenierung am BE war "Die Antigone des Sophokles" nach Bertolt Brecht, den George Tabori in den USA im Exil kennengelernt hatte. Er zeigte die Geschichte vom alten Kreon und der traurigen Antigone "als einen zärtlichen Comic über die unheilvollen Konsequenzen allen Rechthabenwollens und Belehrungsstrebens", wie Esther Slevogt für die taz schrieb, und ausgestattet mit einer für ihn charakteristischen Moral: "Leute, lasst halt manchmal fünfe gerade sein. Dann lebt ihr länger."

Das länger leben war sein Thema, notgedrungen. George Tabori kam 1914 in Budapest zur Welt, und begann in den 30er-Jahren in Berlin als Journalist zu schreiben. Er konnte 1936 vor der Verfolgung der ungarischen Juden durch die Nationalsozialisten nach London fliehen, sein Vater aber wurde in Ausschwitz ermordet.

Das wusste man immer, wenn man eines seiner Stücke sah - "Die Kannibalen", "Mein Kampf", "Die Goldberg-Variationen", "Weisman und Rotgesicht" - und seine Geschichte spielte auch dann als Subtext eine Rolle, wenn er zum Beispiel Mozarts Oper "Die Entführung aus dem Serail" inszenierte als große Parabel über die Toleranz. Im Jahr 2002 zog er mit dieser Oper durch drei Aufführungsorte: die Gedächtniskirche in Berlin, die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße und ein islamisches Gebetshaus. Ein großes Versöhnungsangebot - das war es, wofür sein Name stand und wofür er vom Theaterbetrieb auch als Ausweis guter Absichten vereinnahmt wurde.

Seit Tabori 1969 nach zwanzig Jahren in Amerika und Hollywood nach Deutschland zurückkehrt war, galten seine Stücke einer Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Seine Hitler-Farce "Mein Kampf" wurde 1987 in Wien uraufgeführt. "Es gibt Tabus, die zerstört werden müssen, wenn wir nicht ewig daran würgen wollen", schrieb er zu der Geschichte vom blutjungen Möchtegern-Künstler Adolf Hitler, der im Wiener Männerwohnheim ein bisschen Kultur von einem jüdischen Bibelvertreter und einem Koch der koscheren Küche beigebracht bekommt. Seitdem wird über dieses Stück gelacht; aber wie man die Befreiung, die diese Entkrampfung in der Verhandlung der Vergangenheit zwischen Deutschen und Juden darstellte, bewertet, verändert sich dann doch im Laufe der Zeit. Heute ist die Begeisterung manchmal befremdlich, über den Mann, der nie Vorwürfe erhob.

An seinem neunzigsten Geburtstag, vor drei Jahren, küssten George Tabori viele Schauspieler die Hände auf einer Feier im BE. Sie haben ihn auch besucht, als er im Sterben lag, in seiner Wohnung, nicht weit vom Theater, wohin er sie zuletzt auch zu den Proben bestellt hatte. Er bezeugte für sie ja viel mehr als nur sein eigenes Leben.

Er bezeugte für die, die an das Theater glauben wollen, dass es im Theater immer um etwas geht, dass diese Institution eine Mission hat. Erkenntnis zu vermitteln, nach Wahrheit zu suchen, aus der Geschichte zu lernen; ja, vielleicht, aber dann doch immer mit einer Wendung ins Lebensnahe, die aus großen Gesten sehr praktikable Dinge machte. Und das könnte auch sein, darüber zu trösten, dass das mit den großen Dingen, der Erkenntnis, der Wahrheit und der Geschichte, dann doch vor allem eine schöne Idee, weit weg von allen menschlichen Schwächen bleibt.

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