Laura for ever

Sie spielte Gudrun Ensslin, verzichtete auf die Schauspielschule, knabbert am Salat und ist bereit für neue Engagements. Repräsentiert sie das Rolemodel einer neuen Schauspielergeneration? Schwärmen für Schauspielerinnen (3): Laura Tonke

VON RENÉ HAMANN

Es gab diese Momente, wo man ihr am liebsten gleich ein Engagement angeboten hätte. In einem wirklich guten Film mit einem richtig guten Drehbuch. Und gleich einen Preis hinterhergeworfen. Diese Momente rührten daher, dass Laura Tonke etwas unzufrieden wirkte. Vermutlich steckt sie gerade in so einer Phase. Der letzte Dreh ist schon was her, jetzt tourt sie im Auftrag der Volksbühne herum, durch Holland und Polen (mit Gob Squads „Kitchen“), obwohl ihr Theater eigentlich recht schnuppe ist. Sie wartet auf Castingtermine. Auf neue, gute Angebote. Die Unzufriedenheit geht so weit, dass sie selbst auf ihren Freund, einen Maler, neidisch ist. Der startet nämlich gerade durch, der hat Erfolg.

Beschweren kann sie sich eigentlich nicht. Schließlich ist sie Laura Tonke. Eine Schauspielerin, die als junges Mädchen mit einem großen Bang angefangen hat, nämlich mit dem immer noch sehenswerten Nachwendefilm „Ostkreuz“ (1991). Sie hat auf die Schauspielschule verzichtet, was sie etwas bereut, wie sie heute sagt, sie hat einfach durchgespielt. Sie war in „Baader“ (2002) als Gudrun Ensslin zu sehen. Sie hat in „Pigs Will Fly“ und in „Im Schwitzkasten“ gespielt (mit Esther Zimmering, übrigens).

Woher also die Unzufriedenheit? Laura Tonke isst Salat und schaut mich mit wasserfarbenen Augen an. Sie hat etwas kindlich Ernsthaftes, sie bringt zugegebenermaßen eine Unscheinbarkeit mit, eine gewisse Blässe, die sie als Auszeichnung trägt. „Ich wurde noch nie auf der Straße erkannt“, erzählt sie. „Das geht noch weiter: Ich werde nicht nur von Fremden nicht erkannt, sondern auch nicht von Leuten, die ich kenne. Es ist wirklich so, dass ich mich oft neu vorstellen muss und sagen: Ich bin Laura. Wir haben uns da und da getroffen, wir haben da und da zusammen gespielt.“ Was erstaunlich ist, denn sie könnte ein Vorbild sein, ein Rolemodel, der Prototyp einer neuen Schauspielergeneration, und das weiß sie auch. „Ich wollte Schauspielerin sein, weil ich wie Charlotte Gainsbourg sein wollte“, sagt sie. Vielleicht ist sie längst da, nur haben es noch nicht alle gemerkt.

Neulich war sie in dem RTL-Zweiteiler „Tarragona“ zu sehen, da spielte sie eine unglückliche Ehefrau. In „Tarragona“ hatte sich die Ausstattung alle Mühe gegeben, das Jahr 1978, in dem der Zweiteiler spielte, authentisch nachzubilden, und das war ihr sehr gelungen. Einen nahezu irrealen Effekt hatte das, es war, als ob man sich die eigene Kindheit anschaut. Oder Super-8-Filme davon. Ansonsten bestand dieser Zweiteiler nur aus Fehlern: schlimme Klischees, blöde Konflikte, penetranter Musikeinsatz, schlechte Dialoge. Alles wurde zugequatscht. Ich war 1978 ganz in der Nähe dieses Schauplatzes, in den Sommerferien. Mit meinen Eltern, einem unglücklichen Ehepaar. Hat Laura Tonke der Ort Tarragona gefallen? „Ich war gar nicht da. Der Dreh fand auf Mallorca statt.“ Film und Wirklichkeit.

„Es gibt zwei verschiedene Arten von Filmen. Filme, bei denen ein eigenes Einbringen erforderlich ist, und Filme, bei denen das überhaupt nicht erwünscht ist“, sagt Laura. „Tarragona“ war wohl eher Letzteres. Später erzählt sie, wie sie einmal glaubte, Anna Karina sein zu können. Die Muse eines guten Regisseurs. Nur dass der entsprechende Godard fehlte.

„Die Gefahr besteht, dass man sich schnell abhängig macht. Deswegen hadere ich oft mit meinem Beruf. Es ist wichtig, während der Arbeit sich auf sich selbst zu besinnen, auf sich zu vertrauen“, meint sie. „Ich bin immer von anderen abhängig, das bringt dieser Beruf mit sich. Ich bin davon abhängig, dass mir Leute Texte schreiben, die ich spielen kann. Dass jemand mir Rollen gibt. Dass der Regisseur, die Regisseurin das gut findet, was ich mache.“

Und wie ist es, wenn man in privaten Situationen auf den Beruf angesprochen wird? „Ich versuche zu vermeiden, mich erklären zu müssen, zu erzählen, in welchen Filmen ich schon gespielt habe und so. Da ist dieser Standardsatz, der dann kommt und den ich nicht so mag: ‚Ach echt, ich habe dich ja noch nie irgendwo gesehen. Wo hätte man dich denn sehen können?‘ ‚Ja, in Baader.‘ ‚Ja, was ist denn das?‘ ‚Ein Film über die RAF. Lief im Kino. Haben zweitausend Leute gesehen.‘ ‚Ja, ich gehe ja nicht so oft ins Kino.‘ “

Dann bleibt ihr nur, sich zurückzuziehen – eine Lieblingsbewegung einer Frau, die Präsenz und Aura am besten entfaltet, wenn eine Kamera läuft.

Auch sonst muss sie nicht immer im Mittelpunkt stehen. Sie geht auch nicht oft aus, außer auf Kinopremieren und Vernissagen. Sie geht ins Kino, sie spielt Karten oder Tischtennis. Sie wohnt in Mitte, weil hier ihre Freunde wohnen. Sie mag die Kunstszene, weil dort ein gesundes Desinteresse vorherrscht. „Da habe ich das Gefühl: Ich bin Schauspielerin, ich bin denen eh egal.“

Und schaut sich staunend die Kämpfe des Kunstbetriebs an. „Bevor ich meinen Freund kennengelernt habe, war ich mir sicher: Das Filmgeschäft ist das härteste. Jetzt weiß ich: Die Kunstszene ist noch härter. Die ist knallhart. Und als Künstler ist man weit weniger geschützt. Ein Film ist ein Gesamtprodukt.“

Das Gespräch ging noch weit über das Ende der Diktiergerätkassette hinaus. Da betonte sie, dass sie von meinen Fragen auch ein wenig enttäuscht war. Man hätte mehr reden sollen. Über die Geschichte des Films. Über die Kunst und all das. Die Szenen hier. Und woher das coole Wissen kommt, über das sie im Gegensatz zu den meisten anderen ihres Fachs verfügt. Laura Tonke ist nämlich jemand, den man zunächst unterschätzt. Hinter ihrer Sensibilität stecken aber ein großer Ehrgeiz und ein reflektierender Zugang zu Kunst und Welt.