Die hatten es gut, die Römer

Tipps zur Aufzucht von Siebenschläfern und dezente Präsentation von Erotika: Das Bremer Focke Museum zeigt eine sehenswerte Ausstellung zum Luxus-Leben am Golf von Neapel um das Jahr 0. Irritiert wird das Wohlfühl-Gefühl nur von sauertöpfischen Zitaten einiger Philosophen

Silberbecher, so schwer, dass niemand daraus trinken konnte, ohne einen Tennisarm zu bekommen

AUS BREMEN EIKEN BRUHN

Die Sache mit der Feder im Hals ist ein Märchen. „Eine Unsitte einzelner“ sei es vielmehr gewesen, sich auf diese Weise Platz im Magen zu verschaffen, um beim Gelage noch ein paar Gänge runter zu bekommen. Das erfährt, wer die Wanderausstellung „Luxus und Dekadenz“ im Bremer Focke Museum besucht. Andere Vorstellungen, die man sich durch Asterix-Comics oder andere Lektüre von den alten Römern gemacht haben mag, werden hingegen durch Anschauungsobjekte bestätigt: Dass im Liegen gegessen wurde und der Sprit per Trinkhorn eingeflößt. Dass Baden eine große Sache war und Sex aus Lust an der Freude nichts unbekanntes.

Von letzterem zeugen entsprechende Darstellungen, die mal so brachial sind, dass man sich fragt, wer unter einem solchen Fresco noch einen Bissen herunter bekam – oder mal ganz fein wie diese eine Bronzeschale. Wer tief genug hinein schaut, erblickt einen Esel – und darauf ein Paar, das eine besonders fortgeschrittene Form der Reitkunst beherrscht.

Dankenswerterweise belässt es das Kollektiv der AusstellungsmacherInnen dabei, die Erotika zu zeigen, ohne darum ein großes Gewese zu veranstalten. Damit gelingt – stellvertretend für das Gesamtkonzept – zweierlei: Zum einen wird das Bild des lüsternen Oberschicht-Römers mit Dauerkarte für den örtlichen Swingerclub gebrochen. Zum anderen wird das Wohlfühl-Gefühl gewahrt, das die Ausstellung über den römischen Reichtum in den beiden Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt geht auslöst: der pure Luxus.

Hübsch eingerichtet hatten es sich die Damen und Herren damals in ihren Landhäusern am Golf von Neapel, der schon damals als besonders schöner Flecken Erde galt. Mildes Klima, ein Wahnsinns-Küstenpanorama und dazu fruchtbarer Boden für den Anbau von Wein und Zitronen – was will man mehr? Offenbar einiges: Achtstöckige Villen und Silberbecher, so schwer, dass der Nachbar neidisch wird, aus denen aber niemand trinken kann, ohne einen Tennisarm zu bekommen. Brunnen, die so viel Wasser verschwendeten, wie eben zugelassen war: 800 Liter täglich waren es in Pompeji.

Wunderschön anzusehen sind die Gegenstände, die man damals in Herculaneum, Baiae oder Stabiae eben so brauchte: Perlohrringe und Goldgeschmeide, Statuen und Gemälde von Vögeln und Fischen – letztere in einer Genauigkeit, die einen staunen lässt, wenn sie auch im Museum nicht so aus den Schuhen haut wie vor Ort.

Der meiste Plunder aus den Siedlungen am Golf wurde allerdings nach Entdeckung ins Nationalmuseum in Neapel geschafft. Von dort stammen fast alle Ausstellungsobjekte im Focke Museum. So auch ein 40 Zentimeter hohes Tongefäß, mit Löchern versehen und einem Spiralgang im Inneren. Ausnahmsweise nicht schön, aber ungemein praktisch: Es diente der Aufzucht von Siebenschläfern. Das Nagetier galt – vielleicht „mit einem Überguss aus Honig und Mohn“, wie Petronius notierte – als Delikatesse.

Diese Herrlichkeiten zeigt das Museum in einer dezenten Aufmachung. Die Wände sind schwarz bis auf einen hellen Gang, dessen Wände mit einer Ahnung von Bäumen verziert sind. Das Thema: Statuen und Brunnenspiele für den Gartenbedarf. Im Hintergrund untermalt Flöten- und Harfenmusik eine Computer-Rekonstruktion der teils versunkenen Villenanlage des Kaisers Claudius.

So wandelt man höchst entspannt durch die Räume – und bekommt ein Problem. Denn durchgängig zieren Sprüche in goldener und silberner Schrift von Dichtern und Denkern der Zeit die Wände. Sie beklagen den Luxus als Werteverfall. „Nachdem man piekfeine Bäder eingeführt hat, sind die Leute schmutziger geworden“, jammert Seneca, während Lukian den Frauen ankreidet, sie würden das Geld ihrer Männer für Kosmetik und Duftöle auf den Kopf hauen, so dass „ganz Arabien duftet aus ihren Haaren“. Na und, denkt die Besucherin, wer hat, der hat, und will es auch gern zeigen. Maßlos übertriebene Formen des Luxus finden sich in der Ausstellung nämlich kaum. Mal abgesehen von dem Verweis auf jene Dame, die ihrem Lieblingsfisch Ohrgehänge anlegen ließ.

Und dass diejenigen, die sich so mokieren über das Gebaren der Reichen, selbst Villen besaßen und Kunst und Silbergeschirr horteten, erfährt man leider erst aus dem Katalog. Dort wird auch der Kulturpessimismus dieser Intellektuellen entlarvt, die dem Ideal einer guten alten Zeit anhängen, in der jemand aus dem Senat geworfen wurde, weil er zu viel Tafelsilber besaß. Doch, wie der Historiker Karl-Wilhelm Weeber bemerkt: Mit zunehmendem Reichtum und der Notwendigkeit, diesen zu irgend etwas zu nutzen, habe die gesetzlich verordnete Bescheidenheit schon in den Jahrhunderten davor an Bedeutung verloren. Auch seien maßlose „Auswüchse bei der Luxus-Demonstration“ die Ausnahme gewesen und schließlich sei es den Kritikern – anders als es die Ausstellung nahe legt – nie darum gegangen, die Kluft zwischen Arm und Reich anzuprangern. Insofern führt die Inschrift gleich am Eingang – „Wir gehen auf fremden Füßen, wir leben durch fremde Mühen“ – in die Irre. Mindestens genauso ärgerlich fand Plinius der Ältere nämlich die Tatsache, dass neumodische Zwergplatanen gepflanzt wurden anstelle von Ulmen. Aber das steht in dieser sehenswerten Ausstellung an einer anderen Wand.

„Luxus und Dekadenz: Römisches Leben am Golf von Neapel“: Bis 8. Juni im Focke Museum, Bremen