Was Mönch und Akteur gemeinsam haben

Die Antwerpener Regisseurin Lotte van den Berg widmet sich in einem performativen Ritual auf Kampnagel in Hamburg dem Vermächtnis ihres Vaters. Der beendete 1989 seine Schauspielerkarriere, um ins Kloster zu gehen und authentisch zu leben

Es ist eine durchaus philosophische Frage, und Hamlet war nicht der erste, der sie stellte: Was ist real, gibt es so etwas wie Authentizität – sei es auf der Theaterbühne, sei es im richtigen Leben. Wie lässt sich andererseits die Kluft zwischen Akteur und Publikum überwinden; ist Verfremdung die ultima ratio?

Probleme, die die Antwerpener Regisseurin Lotte van den Berg in ihrer Performance „Winterverblijf – Winteraufenthalt“ auf Kampnagel Hamburg aufwirft – einem Stück, dessen Titel Metapher ist. Denn es geht nicht um Bergs winterliche Reise in unbeheizte sibirische Klöster, die sie offiziell als Initialzündung nennt. Zentral ist vielmehr die Frage, ob sich Bühne heute noch überzeugend bespielen lässt angesichts des permanenten Selbstdarstellertums auf allen Kanälen.

Nur konsequent also, dass Berg ihr Stück mit einer Tonbandaufnahme – einem Beckett’schen „Letzten Band“ gewissermaßen – beginnt: mit der Abschiedsrede eines Schauspielers, der seine Karriere öffentlich beendete. Die fand vor 17 Jahren statt, vor vollem Haus, auf großer Bühne. Er werde nicht diesen Abend und überhaupt niemals mehr spielen, hat Josef van den Berg, Lottes Vater übrigens, damals gesagt. „Die Leute glaubten ihm nicht“, erzählt die Tochter. „Sie lachten und riefen dazwischen. All das ist auf dem Band zu hören.“

Er wolle nicht mehr spielen, sondern authentisch sein, hat Josef van den Berg damals verkündet. Doch da er auf der Bühne stand, demonstrierte er live die Unmöglichkeit, es wirklich zu sein. „Er erschuf eine vollkommen ausweglose Situation“, sagt Lotte van den Berg. „Niemand wusste mehr, was er glauben sollte. Mein Vater hinterließ einen Leer-Raum“.

Den zu füllen hat sich die Tochter in „Winterverblijf“ vorgenommen, wohl wissend, dass dies nur ein Experiment sein kann. Trotzdem, sie versucht es: Zwei Sänger und drei Schauspieler hat sie zusammengeholt, die Tiefgang und Banalität verbinden, als hätten sie sich soeben dem Buddhismus verschrieben. Oder der christlichen Mystik, je nachdem. Eine Akteurin praktiziert zum Beispiel eine Tee-Zeremonie. „Sie tut nichts Spektakuläres, bietet weder Story noch emotionale Highlights, sondern versucht das Publikum durch schlichte Abläufe zu fesseln.“ Eine andere singt die Bach-Kantate „Ich habe genug“ – den Monolog eines Menschen, der nach erfülltem Leben zufrieden stirbt. Eine bewusste Parallele zur Abschiedsrede ihres Vaters, der seine Karriere beendete, um Mönch zu werden.

„In puncto Glauben hat er sich gar nicht so weit vom Theater entfernt“, findet Lotte van den Berg. „Der Glaube des Beters und der des Akteurs haben viel gemeinsam. Damit meint sie nicht den Aberglauben des Schauspielers vor der Premiere. Sie denkt vielmehr an „den Glauben an die Notwendigkeit, auf der Bühne zu sein.“ Und, ist es nötig? „Unmittelbar nach der Rede meines Vaters war ich davon überzeugt“, sagt Lotte van den Berg. „Inzwischen bin ich nicht mehr so sicher.“

Trotzdem: Ihr letztes Stück wird dies nicht sein. Denn sie hat durchaus Lust, die Ambivalenz des Bühnenlebens noch ein wenig zu zelebrieren. Und sie weiß: „Irgendwann muss man aufhören, existenzielle Fragen zu stellen. Und das Leben einfach fließen lassen.“

PETRA SCHELLEN

Vorstellungen: 4.–6. 1., 20 Uhr, Kampnagel Hamburg