Wenn die Kinder Geister werden

„Das Waisenhaus“ von Juan Antonio Bayona ist ein gediegener Gruselfilm

In Hollywood ist der Horrorfilm gerade im Geräteschuppen gelandet. In der letzten Woche startete „Saw 4“ : wie seine Vorgänger ein sadistisches Machwerk, in dem man statt eine Gänsehaut zu bekommen, höchstens mit ständigem Brechreiz kämpfen muss. Schönen, kultivierten Schrecken können zur Zeit am besten die Filmemacher aus spanischsprachigen Ländern verbreiten. Die katholische Tradition ist da eindeutig fruchtbarer als die agnostische US-Unterhaltungsindustrie, deren „cheap thrills“ im Vergleich zu fluchbeladenen Häusern, Geisterwelten und der ewigen Verdammnis tatsächlich ziemlich billig sind.

Der Spanier Alejandro Amenabar (“The Others“) und der Mexikaner Guillermo del Toro (“Pan‘s Labyrinth“ ) machen dagegen Horrorfilme, die nicht die Intelligenz eines erwachsenen Publikums beleidigen, und besonders gut sind beide darin, Stimmungen zu schaffen, bei denen sich der Zuschauer nie ganz sicher sein kann, ob das Gesehene wirklich geschieht oder nur die Phantasmagorie einer Filmfigur ist. Juan Antonio Bayona ist ein Protégé von del Toro, und hat mit „Das Waisenhaus“ seinen ersten Film gedreht, der sich nahtlos in diese Tradition einreiht, in Spanien ein riesiger Kassenerfolg war und gerade in Madrid mit 7 Goyas (den nationalen Filmpreisen) prämiert wurde .

Das titelgebende Gebäude erweißt sich als eine verwunschen, schöne Villa, in der natürlich bald seltsame Dinge passieren. Als das Gebäude noch ein Waisenhaus war, verbrachte Lara dort ihre frühe Kindheit, und 30 Jahre später kehrt sie mit ihrem Ehemann und Sohn Simon zurück. Der fantasievolle Junge spielt bald mit einer Gruppe von unsichtbaren Freunden und als er sie zeichnet, erinnern sie Lara an ihre einstigen Spielkameraden, die zurückblieben, als sie adoptiert wurde und das Waisenhaus verließ. Eine bedrohliche Atmosphäre schleicht sich langsam in den Film ein, und weil wir als Zuschauer immer nah an Laura bleiben, wissen wir nie genau, wie viel von dem Gesehenen sie oder Simon nur imaginieren.

Statt des Schocks ist Boyonas bevorzugte Waffe das bange Erwarten, und so geht er sehr sparsam mit den Buh-Effekten und Geistererscheinungen um, die gerade deshalb um so wirksamer sind. Ein kleiner Junge mit einem Sack über dem Kopf wird zu einer bedrohlichen Erscheinung, eine unheimliche alte Frau gibt sich als Sozialarbeiterin aus und spricht mit Lara über Familiengeheimnisse. Simon gerät immer mehr in den Bann der Gruppe von Kindern, die entweder Geister oder seine Wahnvorstellungen sind. Schließlich verschwindet der Junge spurlos, dunkle Geheimnisse werden langsam enthüllt und schließlich ist Geraldine Chaplin in einem sehr effektiven Gastauftritt eine Hellseherin, die in einer Seance tatsächlich etwas erspürt, vor dem Lara dann allerdings sofort zurückschreckt.

Wenn man sich auf den Film einlässt, kann man es wirklich mit der Angst zu tun bekommen - und wenn man denn unbedingt einen Lehrmeister von Bayona (der bisher nur Musikvideos, Werbespots und Kurzfilme gedreht hat) finden will, dann ist es Alfred Hitchcock mit seiner Methode des Suspense, bei der die Zuschauer so manipuliert werden, dass ihre Angstlust bis zum Äußersten angestachelt wird.

„El Orfanato“ (so der Originaltitel) ist so konstruiert, dass es für alle gezeigten Phänomene eine natürliche Erklärung gibt. Doch diese ist in der letzten Konsequenz schrecklicher als die Horrorgeschichte, die genauso plausibel ist. Der Zuschauer wird also in eine ähnliche Position manövriert wie Lara, der die Geisterwelt letztlich Trost bietet.

Wilfried Hippen