berliner szenen Wie stehn die Aktien?

Dinge, die kaputtgehen

Immer, wenn er zur Tür hereinkommt, klopft er mir auf die Schulter und fragt: „Na, wie stehen die Aktien?“ Theo ist 47, geschieden, und seit Jahren besorgt er sich in meinem Laden täglich ein paar Kleinigkeiten. Jahrelang schon läuft es so ab: Er tritt zur Tür herein und greift nicht gleich zu einer Zeitung oder zeigt auf eine Schachtel Zigaretten. Er klopft mir zuerst auf die Schulter und dann erkundigt er sich nach meinen Aktien. Seine Stimme klingt tief und ruhig und nach zu viel Zigaretten.

„Selbständiger Reparateur für alles, was zuhause rumsteht und kaputtgeht“, erklärt er auf Anfrage. Wer ihn zum ersten Mal hört, kann bei diesem Satz durchaus eine Gänsehaut bekommen. Theo hätte die perfekte Synchronstimme für einen Hollywood-Kommissar in einem 50er-Jahre-Film abgegeben. Stattdessen ist er unterwegs auf der Suche nach Aufträgen für die Reparatur jener Dinge, die bei Leuten rumstehen und kaputtgehen.

Letztens die Mikrowelle von Frau Miesler, einer alleinstehenden Rentnerin, die ihm dafür zehn Gläser selbst eingemachtes Rotkraut überlassen hat. Die Sprinkleranlage bei Familie Schnoor, die unkontrolliert durch die Gegend wässerte und regelmäßig die Stallhasen von Frau Miesler im Garten gegenüber unter Beschuss nahm. Beide Geräte hat er in den Griff bekommen. Else Miesler könnte nun jederzeit auf die Mikrowelle zurückgreifen, um ihre Hasen zu trocknen, falls die Sprinkleranlage von Schnoors wieder Mätzchen machen sollte. Theo ist ein Mensch, der für die Harmonie im Viertel wichtig ist. Und an verregneten Tagen freue ich mich besonders darauf, dass gleich wieder die Tür aufgeht und ein Kommissar ins Zimmer tritt, um sich nach meinen Aktien zu erkundigen. JOCHEN WEEBER