Einst ein Skandal, heute Nostalgie

„Johan – Eine Liebe in Paris im Sommer“ von Philippe Vallois kommt erst nach 30 Jahren ins Kino

Als Zeitmaschinen, die das Lebensgefühl einer vergangenen Ära und Kultur zeigen und die damalige Atmosphäre neu erwecken können, sind im Kino oft die nicht wirklich geglückten Filme aus jenen Zeiten wirkungsvoller als die Meisterwerke. Bei diesen ist meist die Vision des Regisseurs übermächtig, während jene ganz in ihre Zeit eingebettet sind, und so manchmal mehr zeigen, als die Filmemacher überhaupt wollten. Gerade weil ihnen ein in sich geschlossener und radikaler Stil fehlt, schleicht sich manchmal erstaunlich viel Realität in diese Filme ein, die deshalb heute eher als Dokumente denn als Kunstwerke wirken. Genau dies macht auch den Reiz von „Johan“ aus, einem vermeintlich avantgardistischen Schwulenfilm, der 1976 in Cannes für einen kleinen Skandal sorgte, und sofort danach von der Zensur aus dem Verkehr gezogen wurde, so dass er nie in die Kinos kam. 1996 wurde die Originalkopie gefunden und an das französische Filmarchiv übergeben.

Die Zeiten und die Moral haben sich so geändert, dass der Film inzwischen trotz einer drastischen Fistfucking-Sequenz im letzten Jahr von dem Fernsehsender Arte ausgestrahlt werden konnte. In Deutschland wird er nun von einem kleinen Verleih mit wenigen Kopien in einigen Programm- und Kommunalkinos gezeigt, und so landet er in dieser Woche auch im hiesigen Kino 46. Mit der französischen Vorliebe für selbstreferenzielle Meta-Ebenen erzählt der Regisseur Philippe Vallois in ihm die Geschichte eines Films im Film. Dementsprechend sollte „Johan“ eigentlich eine filmische Ode des Regisseurs an seinen Geliebten werden, aber da eben dieser Johan im Gefängnis sitzt, fehlt plötzlich der Hauptdarsteller, und so sieht man nun auf der Leinwand die angeblichen Probeaufnahmen für den eigentlichen Film, in denen verschiedene andere Darsteller versuchen, jenen Johan zu verkörpern. Darunter auch eine extrem aufgekratzte Frau und ein sehr attraktiver Afrikaner, der dann einen leckeren Schokoladenkuchen backen darf. Aus dem Off werden immer wieder amouröse Briefe von Vallois an den inhaftierten Johan verlesen, in denen von den Schwierigkeiten beim Dreh und der Sehnsucht des Getrennten die Rede ist. Durch diese Texte wird eine Dramaturgie im Grunde mehr behauptet als in Gang gesetzt, und so wird schnell deutlich, dass dieser Überbau nur ein Vorwand für den Regisseur war, um zu zeigen, wie es in der schwulen Subkultur im Paris der 70er Jahre so zuging.

Auf dieser Ebene hat „Johan“ heute durchaus seine Qualitäten. In der Zeiten vor Aids, in der eine vergleichsweise liberale Stimmung in der französischen Gesellschaft vorherrschte, konnten sich die Schwulen so glamourös und explizit ausdrücken wie schon wenige Jahre später nicht mehr. So spricht in „Johan“ ein Mann detailverliebt über seine sadistischen Vorlieben und der Regisseur drapiert die attraktiven jungen Männerkörper mit solch einer offensichtlich Schaulust, dass viele Sequenzen schon ins Groteske abkippen. Spielereien am Strand oder ein Tableau, in dem die Liebenden sich in römischen Togen aneinander schmiegen, sind so naive und hemmungslos ausgelebte Wunschfantasien, dass es einen fast schon rührt. Und all das wurde dann auch noch mit der pathetischen Musik von Anton Bruckner eingeschmiert. Aber dann gibt es wieder Sequenzen, in denen der Regisseur den Zuschauer zublinzelt. So etwa in einer vermeintlichen Rückblende, die in New York spielen soll, wobei der angekündigte Schwenk zum Empire State Building dann aber beim Eifelturm endet.Wilfried Hippen