Bei Ulrike Meinhof im Keller

Filmemacherin Jutta Brückner lässt in ihrer Video-Theater-Performance „Bräute des Nichts“ Ulrike Meinhof auf Magda Goebbels treffen – in Stammheim. Das Thema ist weibliche Militanz, aber sind die Protagonistinnen allzu spektakulär?

Die Akademie der Künste am Pariser Platz ist unterkellert. Bis auf Minus drei kann man fahren mit dem Aufzug, um dort in der „Black Box“ zu landen, einem kühlen Sarg aus Beton. Diesen unterirdischen Ort hat die 66-jährige Filmemacherin Jutta Brückner passgenau ausgewählt, um eine Grabung durchzuführen in der „Mentalitätsgeschichte“ – dieser Begriff ist ihr wichtig – weiblicher Militanz in Deutschland. Zu diesem Zweck inszeniert sie die fiktive Begegnung zweier deutscher „buzz women“ an einem deutschen „buzz place“: Magda Goebbels, straight outta Führerbunker, trifft Ulrike Meinhof in Stammheim.

Eine Video-Theater-Performance macht dieses Aufeinandertreffen der „Ersten Mutter des Reiches“ mit dem „theoretischen Kopf der RAF“ möglich. Auf der kleinen Bühne der „Black Box“, stehen als Indizien für Gefängniszelle eine Pritsche und ein Tisch mit Schreibmaschine. Die gleiche Szene sieht man in dem über die Bühne projizierten Video, wo die Schauspielerin Anne Tismer als Ulrike Meinhof in der Nacht ihres Selbstmords ruhelos raucht, sich auf der Pritsche wälzt und noch ein paar Kassiber in die Maschine hackt: diese Meinhof-Texte in ihrer spezifischen Mischung aus brutaler Härte („Alle tragbaren Genossen müssen liquidiert werden – ab in die Kalkgrube mit ihnen“) und Selbstgeißelung („Ein Revolutionär hat keine Kinder. Ich bin eine scheinheilige Sau. Psychische Struktur einer Kleinbürgerin. Befrei dich von dir, Fotze“). Aus den Lautsprechern – nie spricht Anne Tismer direkt in die Kamera – kommen die Textversatzstücke wie aus einem ortlosen Off als kakophone Hörcollage aus Abgelesenem, Geschriebenem, Geflüstertem und einem Soundtrack, der sich bei den Audioelementen des Horrorfilms bedient: Streicher-Ostinato, Subbass-Gegurgel und viel Hall.

Der liegt auch auf den hochhackigen Schritten des Phantoms, das sich bald durch die in blauem Licht gefilmten Stammheim-Gänge der Meinhof nähert, mit Federhut und Fuchs auf der Schulter, ebenfalls in Gestalt von Anne Tismer. „Hau ab, Faschistenschwein!“, brüllt die Meinhof und ficht Schattenkämpfe. Magda Goebbels aber setzt sich auf Ulrikes Pritsche, deren roter Überwurf mit „Andreas Baader“ bestickt ist, und sagt: „Du kannst mich nicht töten – ich bin doch schon längst in dir drin.“ Und das ist es auch, was Brückners Video-Performance – zwischen den Filmszenen gibt es immer wieder „reale“ Interaktionen von Anne Tismer und einem in Mönchskutten gehüllten Geisterchor auf der Bühne – versucht: eine gewisse Vergleichbarkeit der beiden Frauen zu behaupten, einen „gemeinsamen Bodensatz ihrer Seelenbiografien“ zu destillieren. Faschistin und Antifaschistin, quasi gleich gestrickt.

Die Meinhof reagiert auf diese Behauptung zunächst in hysterischer Abwehr, liegt später aber resigniert ruhig neben der Goebbels und betreibt Gedankenaustausch. Da hat Brückner das Strickmuster des politischen Fanatismus der beiden schon längst entlang der Linien „Libido“, „Ehefrau“ und „Mutter“ aufgedröselt. Eine sexualisiert leidenschaftliche Fixierung auf die idealisierten „neuen Menschen“ Adolf Hitler/Andreas Baader wird genauso herausgearbeitet wie die eifersüchtige Hassliebe gegenüber den untreuen Ehemännern Joseph Goebbels/Klaus Röhl und Mutterschaft als körperlich-politischer Funktionsträgerin: Während Magda ihre sechs Kinder kurz vor Kriegsende im Bunker umbringt – Brückner legt ihr das als Rache am Führer aus –, bestraft sich Ulrike in ihren Texten für ihre kontrarevolutionäre Mutterschaft und bringt sich schließlich um, als ihre Töchter den Besuch bei ihr absagen.

Brückners Versuch, die Militanz der beiden Frauen, die Anne Tismer grandios spielt, in schöner poststrukturalistischer Tradition mit einer Mischung aus Psychologie, Machtanalyse und Gendertheorie anzuerklären, ist im Ansatz durchaus faszinierend, in der Engführung zweier derart prominenter Figuren allerdings fast ein wenig spektakulär. Die Filmsequenzen sind sehr viel stimmiger als die Liveperformance-Ideen: Wenn sich der Geisterchor mal wieder mit Taschenlampen selbst anleuchtet oder superbedeutsam schwarze Luftballons aufbläst, würde man ihn gern von der Bühne scheuchen. Und es bleibt ein weiteres Unbehagen an Brückners Ansatz: Sehr eng bringt sie einfach die Entstehung weiblicher Militanz nicht nur mit übergroßem Ehrgeiz, erheblicher Leidensfähigkeit und Gewaltbereitschaft, sondern vor allem mit enttäuschten sexuellen (Adolf & Andreas) und romantischen (Joseph & Klaus) Sehnsüchten in Verbindung. Ohne sich jetzt just für Goebbels oder Meinhof wegen Unterschlagung ihrer originären Intellektualität und der Reduktion auf sexuell und emotional gekränkte Wesen beschweren zu wollen – Brückners Stück verquickt die Ursache weiblicher politischer Radikalität zu grundsätzlich nur mit Körper und Seele und schert sich wenig um den Geist. KIRSTEN RIESSELMANN