Achse der Disco von Tim Caspar Boehme
Herzpumpe

Disco war der Sound des Frühlings, und es sieht ganz danach aus, als wolle er für den Sommer bleiben.

Dass die Sache nicht immer retro endet, beweist das ausgezeichnete Debütalbum des Kanadiers Colin de la Plante alias The Mole. Seine Grundbausteine sind geloopte Samples und ein Disco-Beat, der so schwer am Pumpen ist wie ein Herzschrittmacher. Nichts Neues, aber The Mole schichtet seine Loops dicht, baut mit kleinsten Verschiebungen Spannung auf und lässt das Ganze irgendwann explodieren, sodass man meint, die Euphorie der Tanzfläche würde neu erfunden.

Der Beat zischt nicht dezent vor sich hin, er rumpelt, stolpert, stampft. Fast immer bildet er einen Kontrast zu den Hochstrom-Schleifen, die The Mole darüber legt. Seine Samples sind kurz, viel kürzer als im traditionellen House, und hierin liegt das Geheimnis der konzentrierten Energie von „As High As the Sky“.

Mit minimalen Mitteln scheint es tatsächlich immer höher hinaufzugehen, bis das Stück irgendwann vorbei ist. Das kann die getupfte Viertonmelodie in „Alice, you need him“ sein, die in Nanovariationen ihren Sog entfaltet, oder die gesungene Titelzeile von „Baby, you’re the one“, die de la Plante zusammenschiebt, bis man nur noch das Wort „Baby“ hört – und vor dem inneren Auge Stroboskopblitze zucken.

„As High as the Sky“ ist ein Album, das die glitzernden Momente von Disco auch in seinen ruhigeren Passagen perfekt ins Jetzt übersetzt. Ich weiß, wozu du diesen Sommer getanzt haben wirst.

The Mole: „As High As the Sky“ (Wagon Repair)

Gehirnjogging

Die Wiederbelebung von Disco findet zurzeit überall statt, Japan macht da keine Ausnahme. Den Produzenten KZA und DJ Kent aus Tokio scheint dazu fast jedes Mittel recht. Ihre Leidenschaft entzündet sich vor allem an den frühen Achtzigerjahren, aus denen sie auf ihrem dritten Album als Force of Nature so ziemlich alles herbeischaffen, was damals zum Tanzen taugte: Italo Disco, House, selbst Rap, der für den lässig knackenden Rhythmus sorgt.

Manche Stücke klingen ein wenig wie aus der Zeit gefallen, können aber, wenn sie so unschuldig daherkommen wie der Funk-Stomper „To the Brain“, mühelos überzeugen. Das Duo springt dabei hemmungslos von einem Stil zum nächsten und gibt sich dabei ganz den eigenen Vorlieben hin.

Da kann schon mal eine rockende Gitarre dabei sein, im nächsten Stück sind wir bestimmt wieder woanders. Besonders losgelöst sind die Momente, in denen Force of Nature hinter ihren Synthesizern in Stellung gehen und eine Space Night für Clubgänger inszenieren, bei der die analogen Klangblasen nur so sprudeln.

Wenn sie mal keine Rücksicht auf Kitschempfindlichkeit nehmen und gar ein Sample der kosmischen Krautrocker Cluster in eine Art Esoterik-Dancefloor überführen, kann man ihnen auch das nicht wirklich übel nehmen. Gelegentlich wünscht man sich, dass sie sich den einen oder anderen Einfall mehr gestattet hätten. Das fällt aber bei dem insgesamt herrlich abwechslungsreichen Album nicht weiter ins Gewicht. Space is the place indeed.

Force of Nature „III“ (Mule Musiq)

Augenschmaus

Genres so zu kombinieren, dass eigentlich nichts passt, bringt in den Händen von talentierten Musikern mitunter die schönsten Ergebnisse hervor.

Bei dem Projekt Syclops muss die Frage, wer diese Musiker überhaupt sind, offen bleiben. Produziert wurde das Album jedenfalls von der afroamerikanischen House-Legende Maurice Fulton, der schon an Hits wie „Gypsy Woman“ von Crystal Waters beteiligt war und durchaus für Polypseudonymie bekannt ist. Ob er diesmal tatsächlich einem finnischen Trio an Keyboards, Bass und Schlagzeug unter die Arme gegriffen hat, darf getrost bezweifelt werden.

Ist aber auch egal, denn die Musik von Syclops ist in jedem Fall schräge und oft genug brillant. Das gilt vor allem für die Titel, in denen sich Fulton als Programmierer zu erkennen gibt, wie die von tanzenden Synthie-Bässen und einem kontrolliert ausrastendem Drumcomputer bestimmte Single „Where’s Jason’s K?“, die schon für sich genommen das Album zu einem Vergnügen der besonderen Art macht.

Doch auch die leicht überdrehten Instrumentaljams, die entfernt an den Disco-Exzentriker Arthur Russell denken lassen und höchst jazzig pulsieren, machen Spaß. Der Begriff Disco wird von Syclops sehr freizügig und ohne allzu rückwärtsgewandten Blick interpretiert. Was dabei an Soundschnittmengen herauskommt, klingt häufig nach Zukunft.

Manchmal ist die Sache etwas konfus und nicht unbedingt zum Tanzen, langweilig wird das Album jedoch nie. Am besten mal ein Auge drauf haben. Die drei Finnen geben übrigens keine Interviews.

Syclops: „I’ve Got My Eye On You“ (DFA)