Der diskrete Charme der Avantgarde

In einer Werkschau werden in Hamburg, Hannover und Bremen Filme der spanischen Künstler Pere Portabella und Carles Santos gezeigt. Mit „Die Stille vor Bach“ haben die beiden ein unerwartet originelles, international erfolgreiches Alterswerk vorgelegt

Ein blutendes Rinderherz wird in die Noten der Matthäuspassion gewickelt, eine Klasse von jungen Cellisten spielt eine der Suiten von Bach in einem lauten U-Bahnwagen, ein Piano fällt ins Meer. Aus solchen starken Bildern, die immer ein dialektisches Verhältnis zur gehörten Musik bilden, besteht der spanische Film mit dem deutschen Originaltitel „Die Stille vor Bach“ des 78-jährigen katalanischen Filmemachers Pere Portabella, der im letzten Jahr auf den Filmfestspielen von Venedig Furore machte und im Rahmen einer Werkschau jetzt zum ersten Mal in deutschen Kinos gezeigt wird.

Mit dieser filmischen Hymne auf den Komponisten ist der Avantgardist von einst seinem Stil treu geblieben, den das Instituto Cervantes als Veranstalter auf den Slogan „Geschichten ohne Handlung“ verdichtet hat. Und wie in den 70er Jahren arbeitet er auch immer noch mit dem Musiker und Konzeptkünstler Carles Santos zusammen. Die Beiden entwickelten damals ihre Kunst aus dem Widerstand gegen das Francoregime, und ihre Dekonstruktion der ästhetischen und narrativen Konventionen des Kinos hatte eine eindeutig politische Schlagrichtung. Sie versuchten: „die Suggestivkraft des Filmspektakels bloßzulegen, dessen größtes Übel darin liegt, dass es keinem anderen Ziel als dem Gewinnstreben und der Zerstreuung dient“. So die beiden Ikonoklasten in einer gemeinsamen Erklärung zu ihrem Film „Vampir-Cuadecuc“ von 1970, der in sich selbst einen vampiristischen Ansatz hatte, denn er besteht aus Aufnahmen mit einer 16mm-Kamera, die bei den Dreharbeiten des Horrorfilms „Graf Dracula“ von Jess Franco gemacht wurden.

Inzwischen sind die frühen Werke von Portabella und Santos auf der 11. Documenta gezeigt worden und sie gehören zu den Beständen des Museum of Modern Art und des Centre Pompidou. In ihrer Entstehungszeit gehörten beide zum Untergrund der katalanischen Kunstszene und wanderten 1973 sogar gemeinsam ins Gefängnis. Portabella gehörte in den 60er Jahren als Produzent von Buñuels „Viridiana“ zu den Verursachern eines politischen Skandals, der ihn damals seine Produktionsfirma und seinen Reisepass kostete.

Santos auf der Tonebene und Portabella mit den Bildern wollten ein Gegenkino schaffen, das die ästhetischen Randgebiete erobern und so eine alternative katalanische Kultur möglich machen sollte. Im demokratischen Spanien ging Portabella in die Politik und war von 1977 bis 1988 Abgeordneter im katalanischen Parlament. Auch sein Mitstreiter Santos, der mit provokativen Musikspektakeln international bekannt wurde, ist inzwischen arriviert – so komponierte er 1992 die offiziellen Fanfaren für die Olympischen Spiele in Barcelona.

Mit „Die Stille vor Bach“ haben die beiden nun ein unerwartet originelles Alterswerk vorgelegt, und dessen internationaler Erfolg bewog offenbar das Instituto Cervantes dazu, in Hamburg, Hannover und Bremen eine Veranstaltungsreihe zu präsentieren, in der außer den bereits genannten Werken auch Portabellas kurzer Filmessay „Playback“ und eine Auswahl von Kurzfilmen von Santos gezeigt werden. Am Dienstag in Hamburg, Mittwoch in Bremen und Donnerstag in Hannover werden beide Künstler persönlich ihre Werke vorstellen, und im Bremer Kino 46 sorgt man sich schon ein wenig um das Klavier, das dort auf der Bühne steht, denn Santos hat auch das Malträtieren von Pianos zu einer Kunstform entwickelt. WILFRIED HIPPEN

Hamburg: 24. 6. –  27. 6. im Kino 3001; Bremen: 25. 6. – 2. 7. im Kino 46; Hannover: 26. – 28. 6. im Kino im Sprengel