Verbrechen im Überschuss

Leeres Faszinosum: Der Serienkiller ist der Inbegriff des Bösen, und doch lässt gerade die ständige Wiederkehr der Mörder das Böse verblassen. Das Zeughaus zeigt die Filmreihe „Morden in Serie“

VON EKKEHARD KNÖRER

Leer aus geht am Ende der Mythos. Was mit dem „Schweigen der Lämmer“ im Jahr 1991 begann, lässt das Zeughaus in seiner Filmreihe „Morden in Serie“ mit David Finchers Genre-Dekonstruktion „Zodiac“ enden. Das ist ein kluger Vorschlag zur Periodisierung einer Epoche der Serienkiller-Konjunktur im Hollywood-Kino. Anfangs war der Killer noch ein Supermann, aus dem literarischen Thriller geborgt und mit Bestbesetzung vor und hinter der Kamera zum charismatischen Teufel geformt. Hannibal Lecter, wie Anthony Hopkins ihn gab, war das Genie des Bösen, eine unwahrscheinliche Kreuzungsfigur aus Mad Scientist, kultiviertem Menschenfresser und infernalischem Psychotherapeuten. Ein Finsterling, der an der Statur seiner Gegenfigur, der FBI-Agentin Clarice Starling (Jodie Foster), nur noch wuchs.

Der Serienkiller als einer, der ohne Gewissen Verbrechen im Überschuss produziert, gibt dem Bösen ein Gesicht. Er kam so Hollywood gerade recht, wo alles Abstrakte eine Verkörperung braucht und wo sich das Nachdenken über Moral, Politik und Geschichte meist in den Aktionen und Reaktionen von Heldenfiguren als Quasifamilienroman in Überwindungsszenarien entfaltet. Die Konjunktur des Serienkillers zeigt aber etwas spezifischer auch eine Konjunktur jenes Faszinosums an, als das der westlichen Kultur von Zeit zu Zeit „das Böse“ erscheint.

Der Vergleich mit dem Underground macht freilich deutlich: Die Blockbuster-Killer à la Hannibal Lecter sind bereits domestiziert. Die rohen Kräfte, die in grandiosen – und im Zeughaus wohl kaum zeigbaren – 70er-Jahre-Machwerken wie Abel Ferraras „Driller Killer“ oder Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ noch blind und brachial wüten, werden später durch Psychologie gebändigt; interessanterweise wird gerade dadurch der Serienmörder im Genre zum Mythos.

In Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931), den die Reihe als einen von drei historischen Referenzfilmen zeigt, war er das noch nicht. Lang näherte sich seiner von Peter Lorre gespielten „Totmacher“-Figur zwar mit Sinn fürs Monströse, aber auch mit dem Willen zur Gesellschaftsanalyse. Anders als das ins reine Genre-Spiel aufgelöste „Schweigen der Lämmer“ des früheren Exploitation-Regisseurs Jonathan Demme situiert Langs Film seine Geschichte historisch genau, und zwar im wirtschaftskrisengeschüttelten Berlin der späten Weimarer Republik. Bei Lang ist das „Monstrum“ nicht einfach „das Böse“, sondern erscheint als empathiewürdiges Produkt und Opfer eines inneren Zwangs wie zugleich einer sozialen Paranoia. Unheimlicher noch als der Mörder ist in „M“ der Umgang der Gesellschaft mit dem, was sie als Anderes ihrer selbst definiert, jagt und zur Strecke bringt.

Es überrascht wenig, dass das Serienmörder-Kino selbst zur Serie drängt. Das gilt für Hitchcocks Genre-Meilenstein „Psycho“ (1960) und erst recht für jene Verschärfung, die John Carpenters 1978 gedrehter Slasher-Klassiker „Halloween“ darstellt. Als Wiedergänger ihrer selbst erscheinen Norman Bates – aus dem dann in gewisser Weise auch Patrick Bateman in „American Psycho“ (2000) wurde – und Michael Myers von Sequel zu Sequel. Es verliert aber das Böse durch Wiederkehr seine Kraft. Ein bisschen schade fast, dass die Zeughaus-Reihe diesen durchaus erfreulichen Wiederholungseffekt nicht mitbedenkt – und die ins Groteske oder gar Lächerliche abgleitenden Variationen weglässt, etwa die Hirnlöffelei Hannibal Lecters in Ridley Scotts sehenswerter „Hannibal“-Version. Stattdessen gibt es Jon Amiels hübsch selbstreferenziellen, aber nicht weiter aufregenden „Copycat“ (1995), der die künstlichen Seiten des Genres auf die Spitze treibt, indem er von einem Killer erzählt, der die Taten berühmter Vorgänger bis ins Detail nachahmt.

In faszinierender Manier hebt dann David Finchers „Zodiac“ (2007) die ganze Geschichte des „Mordens in Serie“ in sich auf. Das Zentrum der Serienkiller-Filme, die Stelle des Mörders, bleibt in dieser „True Crime“-Variante des Genres eigentümlich leer. In Don Siegels „Dirty Harry“ (1971, leider nicht im Zeughaus-Programm) figurierte der Zodiac-Killer noch als mythisch allgegenwärtiger Täter und musste von Clint Eastwood am Ende mit aller Gewalt aus dem Körper der Stadt ausgestoßen werden. In Finchers „Zodiac“ wird er zum Gegenstand einer Spurensuche, die sich obsessiv ins Detail verliert und niemals zum Abschluss kommt. Während Fincher in seinem düster verregneten „Seven“ (1995) noch Todsünden und geradezu biblisches Pathos mobilisiert, geht sein „Zodiac“ auf in der akribischen Rekonstruktion der Taten eines Serienmörders und seiner Zeit. Der Film unternimmt am nie aufgeklärten Fall eine radikale Historisierung und damit Entmythisierung nicht nur der Zodiac-Verbrechen, sondern eines ganzen Genres und seiner „Helden“.

Die Reihe im Zeughaus beginnt heute mit „Das Schweigen der Lämmer“ und endet am 16. Juli mit „Zodiac“. Mehr Informationen unter www.dhm.de/kino/morden_in_serie.html