Die Welt liegt ihm zu Füßen

Wenn die ersten Schritte auf einen Weg führen, den ein ganzes Leben lang zu beschreiten niemals ermüdet: Sieben Fotografien und eine schlammige Wand des Land Artist Richard Long sind derzeit bei Haunch of Venison zu sehen

Mit der legendären Arbeit „A Line Made By Walking England 1967“ fing alles an. Es war eine der ersten Skulpturen in der Landschaft und zugleich Richard Longs bekanntestes Werk, das durch mehrmaliges Abschreiten ein und derselben Strecke auf einer Wiese entstand. Für eine kurze Zeitspanne wurde eine Linie aus niedergedrückten Grashalmen sichtbar, die der Künstler aus einem frontalen Blickwinkel fotografierte.

Bis heute wird das als Linie geplante Gehen in der Landschaft von Long in Form von Durchquerungen einsamer Gegenden in immer neuen Varianten praktiziert. Es lässt seine Kunst über die ganze Welt verstreut immer wieder neu entstehen. Bei seinen Wanderungen folgt er nicht vorgegeben Pfaden, vielmehr bevorzugt er selbst gewählte Wege durch möglichst unbewohnte Gegenden der Erde. Stößt er auf Stellen, die ihn inspirieren, nimmt er Markierungen vor. Anders als bei einigen anderen Vertretern der Land Art ist dabei nicht der Eingriff in die Landschaft entscheidend, sondern das Arbeiten mit ihr. Die Zeichen, die er in einem Fluss, auf einem Berg oder in einer Wüste hinterlässt, bestehen immer aus in der Gegend vorgefundenen Materialien, oftmals Steinen, die Long zu unterschiedlichen Formen – meist zu einem Kreis oder einer Linie – anordnet. Die so erzeugten Skulpturen wirken unspektakulär und in die Umgebung eingebettet, als wenn der Künstler sie gar nicht erzeugt, sondern entdeckt hätte.

In Form von Karten, Fotografien oder auch Texten, die von Longs Wanderungen in den abgelegenen Regionen der Welt zeugen, erhält sein sonst nahezu unsichtbares Werk eine abbildende Komponente. Sieben solcher Fotografien sind derzeit als Teil seiner Einzelausstellung bei Haunch of Venison zu sehen. Egal ob farbig oder schwarzweiß, in ihrer Grobkörnigkeit sind die großartigen Landschaften betont nüchtern und unspektakulär. Integrierte Textelemente, die sich auf die Besonderheiten der zurückgelegten Strecken beziehen und immer zu verstehen geben, wo auf der Welt Long sich diesmal die Füße wund getreten hat, verdeutlichen den konzeptuellen Ansatz.

Diese Fotografien sind die direkteste Form, um die nicht zu ändernde Abwesenheit seiner Landschaftsskulpturen darzustellen. Können solche Aufnahmen aber den Raum und die Freiheit, die sich im Laufen ausdrückt, transportieren? Sicherlich ist das zu viel verlangt und doch schmerzt es ein wenig, dass diese Erfahrung dem Künstler vorbehalten bleibt. Zu sehen bekommen wir lediglich ausgewählte Momente, die als ungleichwertig gegenüber der tatsächlichen mentalen und körperlichen Erfahrung in der Landschaft empfunden werden, die jeder nur selbst machen kann, während das Wissen darüber, dass Long tatsächlich dort draußen unterwegs war, doch die Imagination schürt.

Long, der 1945 im englischen Bristol geboren wurde, scheint zwar die ganze Welt zu Füßen zu liegen, wenn man bedenkt, wo er bereits überall war; zu Hause ist er aber immer noch am selben Ort. Passend dazu benutzt er für seine übergroßen Wandgemälde, die er seit den 80er-Jahren in einer Reihe von Museen und Galerien angefertigt hat, zumeist Schlamm aus dem Avon, dem Fluss seiner Heimat. In Form eines großen Halbkreises hat er auch in Berlin die weiße Galeriewand mit seinen schlammigen Händen bemalt und so auf seine Art eindrucksvolle Zeichen seiner Anwesenheit hinterlassen: Sichtbar wird statt der Spur der Füße hier die seiner Hände. In Korrespondenz dazu liegen auf dem Boden vor dem „Mud Hand Arc“ (2008) dänische Flusssteine in einer halbkreisförmigen Anordnung. Die Arbeit „Stones and Time“ (2008) wiederum ist vergleichbar mit einer ganzen Reihe großformatiger, größtenteils kreisförmiger Bodeninstallationen, die aus Steinen oder, wenn auch seltener, aus Treibhölzern zusammengelegt sind und in großen Museen – im Hamburger Bahnhof liegt sein gewaltiger Schieferkreis Berlin Cricle (1996) – ihren Platz gefunden haben.

Anders als die subtilen Skulpturen in der Landschaft fallen die Steine und der Schlamm im Galerieraum enorm auf. Sie wirken wie Mitbringsel, auch wenn Long die Steine im örtlichen Baumarkt erstanden hat. Am Ende wird man den Eindruck nicht los, dass auch sie, auf eine stärker ästhetisierende Art als die Fotografien, vor allem Stellvertreter für das persönliche Verhältnis des Künstlers zur weiten Welt dort draußen sind. JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Bis 6. September, Haunch of Venison, Heidestr. 46, Di.–Sa. 11–18 Uhr