Indiepopper Magnetic Fields auf Tournee: Seufz, wie schön

Reim dich oder ich knabber dir am Ohr: Niemand schreibt Lovesongs wie Stephin Merritt. Nun ist er mit seiner Band The Magnetic Fields auf Tour.

Stephin Merrit (l) und die Magnetic Fields: Ganz hoch im Love-Song-Himmel Bild: ap

Wenn das Schreiben eines Songs dem Zubereiten einer schwierigen Speise gleicht, dann ist das Liebeslied die Zabaglione. So viel kann hier schiefgehen. Das Thema ein wenig zu langsam gerührt und alles stürzt in sich zusammen. Nur etwas zu viel Pathos und es droht der Zuckerschock. Doch wenn Stephin Merritt sich in die Songwriterküche stellt und ein paar neue Love Songs für seine Band Magnetic Fields anrührt, dann scheint alles mit Leichtigkeit und in den richtigen Dosierungen zusammenzufließen.

Nehmen wir mal „I Dont Really Love You Anymore“ vom Magnetic-Fields-Album „i“ – eine Variation des ewigen Themas „Erloschenes Beziehungsfeuer und die Folgen in der ersten Person“. Ein dünnes elektronisches Plockern gibt den Takt vor, dann nimmt eine kleines Streicherensemble die durchaus gutgelaunte Melodie auf, bevor schließlich Merritts ungehobelter Bariton eine Spur Tristesse in diesen fast übermütigen Song bringt. Als würde diese Kombination die Stolperfallen des Kitsches nicht schon weit und gekonnt genug umfahren, singt Merritt auch noch Zeilen, die zur gleichen Zeit angenehm ironisch und wahnsinnig zärtlich sein können: „And Id keep a little farm / Chop wood to keep you warm / but I dont really love you anymore … because I am a gentleman / think of me as just your fan / who remembers every dress you ever wore“. Es sind solche kleinen Meisterwerke zwischen Electro- und Chamberpop, Lyrik und Humor, die Merritt den Ruf eingebracht haben, einer der besten Love-Song-Writer seiner Generation zu sein. Und das noch bevor er 1999 mit „69 Love Songs“ dem Thema gleich ein Triple-Album widmete.

Wenn die Magnetic Fields sich nun nach einigen Jahren Abwesenheit wieder auf ein paar deutsche Bühnen stellen, dann steht da eine ausgewachsene Band. Musiker mit Geschichte (auch gemeinsamer) und Qualitäten. Doch in Wahrheit steht da nur ein menschlicher Schild um Stephin Merritt, den Multiinstrumentalisten, der den Großteil seiner Platten selbst einspielt, der so viele Songs schreibt, dass er sich gleich vier Bands parallel hält. Klein und unauffällig wird er am Rand der Bühne kauern und Ukulele spielen, diese Schrumpfform der Gitarre, dem hartnäckig ein Spielzeugimage anhängt. Uneingeweihte würden ihnen für ein kautziges Maskottchen halten, das ab und an in seiner wackeligen Stimme ein paar Stücke singen darf, während die restlichen drei Musiker virtuos und tadellos ihre Arbeit verrichten. Dabei gehört doch eben diese Ambivalenz aus Makellosigkeit (in Songwriting und Texten) und gesanglicher Unzulänglichkeit zu den angenehmsten Eigenschaften der Magnetic Fields.

Das war nicht immer so. Auf Merritts ersten beiden Alben aus den frühen Neunzigern kandierte noch Susan Anway alle Songs mit ihrer süßen Chormädchenstimme. Das sorgte für einen College-Radio-Hit („100.000 Fireflies“), insgesamt aber für einen gewissen Teflonsound, den auch die Synthesizertüfteleien und Phil-Spector-Homagen nur wenig Nachhaltigkeit einhauchen konnten. Hübsche Songs, aber mit ihnen leben: nein danke.

Erst seit Merritt nach und nach beginnt, mehr Songs selbst zu singen, das musikalische Repertoire sich erweitert hat und sowohl lyrische Country-&-Western-Stücke umfasst wie auch Merritts wunderbar weinerliche Depeche-Mode-Adaptionen, steigen die Magnetic Fields immer weiter in den Love-Song-Himmel. So weit, bis Merritt selbst die verweigerte Liebe einer Straße in ergreifende Worte fasst: „After all those days on God-forsaken highways“, singt er auf „Charm of the Highway“, „the roads dont love you … And they still wont pretend to“.

Das Album, mit dem die Magnetic Fields nun auf Tour kommen, ändert nichts an ihrer melancholischen Grundstimmung, sehr wohl aber an deren Umsetzung. „Distortion“ – der Titel macht da keine Schlenker – ist die Fortsetzung des Popsongs mit anderen Mitteln, denen der Verzerrung. Jesus & Mary Chain, Schottlands Feedbackadvokaten hatten es in den Achtzigern vorgemacht, nun machte Stephin Merritt es nach. Songs, die unter einem Watteberg aus Verzerrung, Hall und Rückkopplung leben. Kein Wunder, dass das dem Kopf der Band gefällt, der schickte schließlich schon immer gerne andere nach vorn, die von ihm ablenken. Ob das dem Publikum gefällt? Hängt wahrscheinlich davon ab, wie das Feedback einer Ukulele so klingt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Gregor Kessler, Jahrgang 1970, entschloss sich nach einer saarländischen Jugend zu einem Intensivkurs in norddeutscher Kultur: Zivildienst in Hamburg, Erfahrungen in niedersächsischen Land-WGs, Studium der Amerikanistik und Politikwissenschaften in Bremen, Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Zu seiner eigenen Überraschung arbeitete er im Anschluss gut zehn Jahre und bis zu ihrem Dahinscheiden für die Financial Times Deutschland. Seither schreibt er nur noch sporadisch über Unternehmen, Klima und Popkultur. Seine Zuneigung zu verschütteter Musik früherer Jahrzehnte findet alle vier Wochen beim Radiosender byte.fm als „Schliemanns Soundbox“ ein Ventil.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.