Die fröhliche Britin

„Happy-Go-Lucky“ von Mike Leigh feiert eine fast schon pathologische Optimistin

Gehen Ihnen nicht auch jene Leute furchtbar auf die Nerven, die ständig gute Laune haben? Diese ewig lächelnden Gutmenschen, die dann meist auch noch missionarisch jeden dazu bekehren wollen, alles positiv zu sehen? Genau solch ein Mensch ist Poppy, eine 30jährige Londoner Vorschullehrerin, deren Optimismus schon fast monströse Züge annimmt. Am Anfang des Film sehen wir sie fröhlich durch den Autoverkehr radeln, wobei sie enthusiastisch allen Passanten zuwinkt. Auch wenn wenig später ihr Rad gestohlen wird, verdirbt ihr das nicht die Laune. Stattdessen bringt sie in einem Buchladen einen mürrischen Verkäufer dadurch zur Verzweiflung, dass sie ihm mit allen Mitteln ein Lächeln entlocken will. „Den Fröhlichen wird es gelingen!“ lautet die sinngemäße Übersetzung des Filmtitels, aber kann Mike Leigh, der Filmemacher mit dem präzisen und meist schonungslosen Blick auf die britische Gesellschaft, etwa ohne einen ironischen Dreh solch eine überpositive Heldin in den Mittelpunkt seines neuen Films stellen? In „Naked“ von 1992 stand ein durch und durch zynischer Misanthrop im Mittelpunkt, und „Happy-Go-Lucky“ wirkt nun wie der absolute Gegenentwurf dazu. Mit der gleichen Radikalität wird hier wieder die Welt ganz aus der Perspektive der Protagonistin gesehen, und vielleicht ist es eine der größten Leistungen von Leigh, dass ihm das auch hier gelingt. Denn diese laute, immer in schreienden Farben gekleidete Frau, die zuerst wie ein emotionales Stehaufmännchen wirkt, bekommt im Laufe des Films eine ganz erstaunliche Tiefe.

Der Film zeigt sie uns in alltäglichen Situationen - bei der Arbeit, abends mit ihren Freundinnen im Pub, bei einem Flamenco-Tanzkurz oder bei den Lektionen eines Fahrlehrers. Und jede von diesen Sequenzen ist so lebensecht und nuancenreich gespielt, dass man dieser merkwürdigen Frau nicht lange widerstehen kann. Das hat viel mit Mike Leighs ganz eigenem Regiestil zu tun. Er arbeitet nicht mit einem festen Drehbuch, sondern geht immer von den Figuren aus. Die Schauspieler entwickeln in langen Proben die vorgegebenen Situationen zusammen mit dem Regisseur, und so wird man, anders als sonst üblich, in einem Leigh-Film keine Figur finden, die einen Satz sagt, der ihr auf die Zunge gelegt wurde. Sally Hawkins, die schon lange mit Leigh zusammenarbeitet, hat für „Happy-Go-Lucky“ in sich diese ganz und gar unbritische Stimmungsbombe gefundenen, und das Vergnügen am Film besteht auch darin, dass wir mit ihr zusammen entdecken können, wie Poppy auf die Welt reagiert - und diese auf sie. So wird schnell klar, dass sie nicht etwa jeden Konflikt mit guter Laune zukleistert. Sie ist eine gute Lehrerin, die aufmerksam die Kinder beobachtet und auf einen kleinen Jungen, der andere auf dem Spielplatz schlägt, zugleich bestimmt und behutsam reagiert. Einige Szenen, wie etwa jene in der Tanzschule mit einer extrem temperamentvollen spanischen Flamencotänzerin, sind einfach nur komisch. In anderen wird Poppys guter Wille aber auf eine harte Probe gestellt. So ist ihr von Eddie Marsan gespielter Fahrlehrer voller Wut, Angst und Minderwertigkeitsgefühlen. Bei den wöchentlichen Fahrstunden brechen Hasstiraden aus ihm heraus, die voller rassistischer, frauen- und schwulenfeindlicher Ressentiments sind. Bei diesem völlig humorlosen und tyrannischen Mann macht Poppy auch einige Prüfungen, die existentieller sind als der Führerschein, und spätestens hier entpuppt sie sich als eine mutige, kluge und gutherzige Frau. Und ihr Lächeln ist tiefgründiger, als man zuerst glauben wollte.

Wilfried Hippen