Hollywoodsatire von 1941: Pauperismus interruptus

Hollywoodsatire, Slapstick und Sozialkritik: Alles geht in Preston Sturges Komödie "Sullivans Reisen" aus dem Jahr 1941.

John L. Sullivan (Joel McCrea) hat als erfolgreicher Regisseur im Hollywood-Studiosystem die leichte Muse, die er selbst produziert, verachten gelernt. Er will jetzt, zum Entsetzen aller Beteiligten, einen sozialkritischen Film nach Sinclair Becksteins Roman "O Brother, where art thou?" drehen. Seine Produzenten machen ihm Vorhaltungen, er habe doch von Armut und sozialen Problemen nicht die leiseste Ahnung. Das gibt er zu. Und beschließt, als Selfmade-Tramp auszuziehen, das Frieren und Hungern und Exkludiertsein zu lernen.

Weil Kleider Leute machen, prüft er schnell noch im Spiegel, ob der zerschlissene Anzug gut sitzt. Dann zieht er los, aber die Propagandamaschinerie des Studios, die Bilder vom Regisseur, der sich an den Rand der Gesellschaft begibt, produzieren will, fährt ihm im Bus hinterher. In einer aberwitzigen Slapstick-Verfolgungsjagd, bei der ein Junge in einem rasend schnellen Kriegs-Spielmobil wichtig ist, schüttelt er sie ab. (Das ist fast ein bisschen wie mit dem Raumschiff im "Leben des Brian".)

Sullivan kommt nicht weit. Im Café, in dem er die zehn Cent, die er hat, ausgeben will, passiert schon der nächste Pauperismus interruptus. Da sitzt nämlich eine atemberaubende, den Film über namenlos bleibende Blondine (Veronica Lake). Sie ist eine in Hollywood gescheiterte Schauspielerin aus dem Mittleren Westen, die für ihr Leben gern mal mit Lubitsch drehen würde. Über kurz eher als über lang offenbart ihr Sullivan seine wahre Identität. Sie landen kaum einen Schnitt später im Swimmingpool, der zum riesigen Anwesen gehört, das der Regisseur sein eigen nennt.

Aber Sullivan gibt nicht auf. Sie ziehen dann beide aus, gemeinsam das Frieren und Hungern und Exkludiertsein zu lernen. Sullivan wird es gelingen, aber anders, als er denkt. Er stirbt - natürlich nicht wirklich - und wird in Ketten gelegt und lernt bei der Vorführung eines Goofy-Films in einer schwarzen Kirchengemeinde seine Lektion: Wer in verzweifelter Lage ist, der will im Kino Komödien sehen und keine Sozialkritik. Was - mal abgesehen davon, dass da rein empirisch was dran ist - reaktionärer klingt, als es sich darstellt. Das beginnt schon damit, dass Preston Sturges gerne einen Film des linken Charles Chaplin gezeigt hätte und nicht des rechten Walt Disney. (Chaplin hat nicht gewollt.) Vor allem aber lässt sich "Sullivans Reisen" nicht auf eine einzige Botschaft festnageln. Der Film lebt davon, dass er ein hoch intelligenter, mal total alberner, mal sehr anrührender, mal völlig unglaubwürdiger, mal ganz und gar überzeugender performativer Selbstwiderspruch ist.

Denn Sturges bewegt sich mit "Sullivans Reisen" auf dem unmöglichen Grat zwischen Hollywoodsatire mit Slapstick und ernst gemeinter Sozialkritik. Und er fällt mit voller Absicht, ja, hochvirtuos, mal auf dieser, mal auf jener Seite herunter. Wenn er auf der komödiantischen Seite herunterfällt, wird der Film schnell selbstreferenziell. Ganz am Anfang gibt es zum Beispiel einen Dialog über das "O brother, where art thou"-Projekt. "Dieser Film", sagt Sullivan, "soll ein Kommentar sein auf die moderne Lebenssituation. Sehr realistisch. Mit Problemen, die den Mann auf der Straße angehen!" Der Produzent: "Aber mit ein bisschen Sex." "Ein bisschen", gibt Sullivan zu, "aber wir wollen es nicht übertreiben."

Für den Sex sorgt in "Sullivans Reisen" Veronica Lake, doch der Film übertreibt es nicht. Aber weil der Ton immerzu kippt, ist man nie auf der sicheren Seite. Ist das alles zum Lachen oder ist es zum Weinen? Die ganze Tramp-Action beginnt lächerlich und wird später überzeugend pathetisch. Der Film spielt mit den Hollywood-Konventionen, wird zwischendurch von ihnen eingeholt, veralbert sie dann, stellt sie auf den Kopf und bewegt den Zuschauer doch. Dieses ständige Rumoren eines Gegensinns ist der Energiekern des Films. Er blieb eines der viel zu wenigen Meisterwerke, die das Studiosystem dem außerordentlich eigenwilligen Komödien-Auteur Preston Sturges zu drehen erlaubte.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist für rund 10 Euro im Handel erhältlich

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