ausgehen und rumstehen
: Balkon mit Barometer und dunkle Bars

Die wichtigsten Erkenntnisse des Wochenendes im Schnelldurchlauf: Die vermeintlichen Parallelwelten Popfeuilleton, Red Bull, Kneipenstehen, Wichtigtun, Medienproletariat, Geburtstagsparty, Poesiefestival, Ausschweifung und angeregtes Gespräch schließen einander nicht aus, sondern kommen immer öfter zusammen, wenn auch manchmal nur in einer Person, zum Beispiel der des Nachtlebenkolumnisten. Die Welt ist sündhaft und teuer, aber es gibt auch billigen und sauberen Spaß da draußen, ohne dass es zu Protesten, Verboten und Ärger kommen muss.

Im Einzelnen: Der Freitagabend begann im Berliner „Institut im Glaspavillon“. Das ist ein hübscher Name für eine kleine Veranstaltungsreihe, die in dem blumenladenähnlichen Glaskasten am Rande der Volksbühne stattfindet. Jan Kedves, Spex-Redakteur, taz-Autor und ehemalige Berlinkulturredakteursvertretung hatte diesmal taz-Popredakteur Tobias Rapp gebeten, hier aus seinem im Werden befindlichen Manuskript „Lost and Sound“ vorzulesen. Da saß man dann im Schaufenster und lauschte bei Flaschenbier und Hintergrundsbollern aus der US-Botschaft Tobias Rapps Kapitel über den Techno-Club Berghain. Gute Nachtlebengeschichten, feuilletonistische Betrachtungen, abgehangene Einblicke, verschränkt mit poptheoretischen Diskursen: Hatte man einmal die Hemmschwelle überwunden und sich unter zwanzig Leuten im engen Raum auf den Text eingelassen, konnte man sich prima unterhalten fühlen. Auf dem Lesepult stand eine Dose Red Bull. Die brauchte der künftige Suhrkamp-Autor, um sich von den vergangenen Nachtrecherchen auf den Punkt zu bringen.

Kneipenstehen und Wichtigtun fanden anschließend in der persönlichen Lieblingsbar am Zionskirchplatz statt. Nicht weiter aufregend, erwähnenswert bleibt höchstens, dass eine angenehme Luft herrschte im Laden, was daran lag, dass das Rauchverbot inzwischen doch umgesetzt wird. Vermutlich bis der Sommer vorbei ist und die Einnahmeeinbußen wieder zu drücken beginnen. Bis dahin raucht man eben draußen.

Der Samstagnachmittag sah eine Lyrikveranstaltung in der Bauwagenkolonie an der Lohmühle in Treptow. Eine ältere Dichterin startete ihre Lesung mit einem markerschütternden Schrei, zwischendurch gab es Getröte, das von Eingeweihten „Free Jazz“ genannt wird, dann eben auch gute Texte, denen konzentriert und entspannt gelauscht wurde. Es schien die Sonne.

Am Abend trafen sich Vorleser und Publikum zufällig auf derselben Party wieder. Das ist der Punkt „angeregte Gespräche“. Die Party pendelte zwischen Ausschweifung und Sauberkeit und entschied sich angesichts des akkurat beblümten, mit Barometer behangenem Balkon für Letzteres.

Vorher stolperten wir genauso zufällig auf die Geburtstagsfeier einer Moderatorin des Radiosenders Motor FM, die im Neuköllner Ä stattfand. Keine schlechte Party, die allerdings einige Fragen offen ließ: Wie wird man eigentlich Radiomoderator? Warum kommen die meisten Leute dieses Metiers ursprünglich aus Bielefeld? Und warum müssen diese Leute in ihrer Freizeit dieselbe Musik spielen wie auf ihrer Arbeit?

Am Ende der Nacht stand ein Kurzbesuch im Monarch. Da schloss man sich in die Arme, kickerte und rauchte auf dem Flur. Die Leute kamen zusammen. Der DJ spielte Sonic Youth, Gustav und FSK: „Oh-oh, wo schleifst du mich denn heut Abend noch hin? Ich will doch gar nicht mehr in einen weiteren Club, nicht mehr in eine weitere dunkle Bar.“ Stimmt, irgendwann muss auch mal gut sein. Weitere Details zum Nachtleben entnehmen Sie bitte den Fachbüchern wie dem von Tobias, das Ende des Jahres erscheinen soll. Und natürlich in den nächsten Kolumnen. Ihr

RENÉ HAMANN