DIE ACHSE DES MESTIZO VON FRANK SCHUSTER

Wo Walzer sich in Ska verwandelt

Es muss nicht immer Manu Chao sein: Der Weltenbummler aus Barcelona hat zwar die Música Mestiza außerhalb der spanischsprachigen Welt bekannt gemacht. Doch ist er leider für viele Plattenkäufer der einzige Künstler dieses Genres. Dabei gibt es einiges zu entdecken, vieles ist viel besser als Manu Chaos jüngere Alben. Etwa die neunköpfige mexikanische Formation Panteón Rococo. Die könnte jetzt in Deutschland bekannter werden, sie spielen im Vorprogramm von Die Ärzte und bei einigen Sommer-Festivals (u. a. Hurricane, Southside und Summerjam).

Mit ihrem vierten Studioalbum zeigen sie, ganz state of the art, was jene Mixmusik derzeit alles zu schaffen vermag. 13 Songs, modern, nicht glatt produziert, sodass die Wildheit, das Feuer ihrer Mischexperimente noch rüberkommen. Klar, auch Panteón Rococo kreuzen US-amerikanische und europäische Stile wie Rock, Punk und Rap mit karibischen und lateinamerikanischen Elementen aus Ska, Reggae, Salsa und Cumbia. Aber es kommt ein ungemein homogener Mix zustande, der das Zusammentreffen zum Prinzip erklärt. Und eigentlich ist es ja auch gerade das Zusammenstoßen, sind es die Brüche, die einen besonders mitreißen: plötzliche Rap-Attacken, unerwartete Punk-Riffs, ein Walzertakt, der sich unversehens in Ska verwandelt. Eine schöne Single ist auch gleich mit dabei: „Vendedora de Caricias“ – ein hüpfender Reggae, von der Theatralik des Gesangs und der komplexen Harmonik her jedoch eher ein Chanson. Auch das ein guter Mix.

Panteón Rococo: „Panteón Rococo“ (Übersee Records/Alive)

Die Party geht woanders weiter

Während man sich für Panteón Rococo wünscht, dass sie noch viel mehr Hörer begrüßen, heißt es Abschied nehmen von einer Band, die zehn Jahre lang das Gesicht der Música Mestiza mitgeprägt hat. Im Falle von Amparanoia ein weibliches Gesicht, hat doch die Band – auch in diesem Genre sind Frauen deutlich unterrepräsentiert – mit Amparo Sanchez eine Sängerin zur Chefin. „Seguire Caminando“, „ich werde weitergehen“, lautet der Titel des Dreierpacks, das ihr Abschiedskonzert in Barcelona auf CD und DVD sowie eine Sammlung von bislang unveröffentlichtem Material und Remixen präsentiert, ein Hinweis darauf, dass Sanchez an einer Solokarriere bastelt oder irgendwie anders weitermachen wird.

Das Konzert wurde, wie zu erwarten, zu einer großen Party; das Publikum singt ganze Textpassagen mit, dennoch ist es kein Live-Abum geworden, das diesen Austausch zwischen Musikern und Band kalkulierend ausstellen würde. Amparanoia, die wie Manu Chao der Szene Barcelonas entstammen, ließen noch einmal ihre großen Songs erklingen, etwa das der Zapatisten-Bewegung gewidmete „Somos Viento“, dazu drehten sich am Bühnenhimmel die roten Sterne (unverzichtbare Insignie des Mestizo: auch bei Panteón Rococo trägt der Cover-Totenschädel einen am Hut und auch Manu Chaos Cover sind voll von ihnen). Die Nachdenklichkeit und Traurigkeit in Sanchez’ Stimme, die ausgelassene Spielfreude ihrer Combo, auch das war stets ein schönes Zusammentreffen. Die Party wird, wenn auch anderswo, schon weitergehen.

Amparanoia: „Seguire Caminando“ (Via Lactea/Broken Silence)

Schwarzer Punk ist keine Volksmusik

Wie Panteón Rococo sind Karamelo Santo („Das heilige Bonbon“) eine der bekanntesten Mestizo-Bands ihrer Heimat. Und die liegt in ihrem Fall in Argentinien. Wie die Mexikaner sind sie deutlich punkorientierter als etwa die sensiblen Amparanoia. Punk, das heißt bei ihnen wie bei vielen Mestizo-Bands eher die Clash- und 2-Tone-Schule, also der synkopierte, reggae-infizierte Punk, der auch schwarze Rhythmen zulässt und nicht klingt wie eine nur schneller und härter gespielte europäische Volksmusik.

Zuletzt verfielen leider einige Bands von dies- und jenseits des Rio de la Plata (etwa die ebenfalls schon im Vorprogramm von Die Ärzte aufgetretenen La Vela Puerca) dem sogenannten „rock nacional“. Eine in Argentinien wie Uruguay beliebte Musik, die ähnlich wie der Deutschrock der Achtzigerjahre Modelle des US-amerikanischen Mainstreams mehr schlecht als recht adaptiert.

Doch das Oktett aus Mendoza hat sich zum Glück den multikulturellen, sozialkritischen, linksalternativen (rote Sterne!) Mestizo-Ansatz bewahrt, der in Texten wie „Refugees“ oder dem Marley-Cover „So Much Trouble In The World“ zum Ausdruck kommt. Nur ein Songtitel erschien der Band (oder den Zensoren der Plattenfirma) für den europäischen Markt zu heiß: „Hitler En La Radio“; das jegliche Medienpropaganda verdammende Stück befindet sich nur auf der in Südamerika erhältlichen Ausgabe.

Karamelo Santo: „Antena Pachamama“ (Benditas Producciones/Galileo)