DIE ACHSE DES GLOBAL POP VON RENÉ HAMANN

Künstliche Hysterie

Ataripunk nennt man so was wohl heutzutage. Oder vielleicht auch noch New Rave. Aber egal, welche Schublade man für die Musik von So So Modern zimmert: Es handelt sich um Hysterie in künstlichen Tönen, die viel von Punk respektive Postpunk gelernt hat und fleißig mit Disco und Quietschesounds aus dem Rechner herummacht.

Die Quietschesounds kennt man aus Videospielen der Achtzigerjahre. Einmal Schlagzeug, dreimal Stimme, viermal Synthesizer und Vocoder, so die Selbstbeschreibung dieser Band aus Neuseeland. „Friends and Fires“ ist eine Zusammenstellung aus vier vorab veröffentlichten EPs, und zum Einfühlen in das verschrobene, manchmal anstrengende, dann wieder gut kranke Werk der vier bestens geeignet.

Mit CSS waren sie auf Tour, mit Add N To (X) und den Crystal Castles sind sie mehr als vergleichbar. Gut unbeherrscht, mit Liebe zum Bruch und Nähe zur Mathematik. Von Gesang allerdings kann man nicht wirklich reden – das ist der Punkteil –, eher von vielstimmigem Skandieren. Besonders gut sind So So Modern dann, wenn sie rein instrumental bleiben wie im Eröffnungsstück „Synthgasm“. Dass Neuseeland wieder auf der Weltkarte des Pop auftaucht, ist aber nicht allein ihr Verdienst: Ganz anders unterwegs, aber ebenfalls recht toll sind The Ruby Suns.

So So Modern „Friends and Fires“ (Unter Schafen Records(Alive)

Leere Versprechung

Hinter CSS stecken fünf junge Menschen aus São Paulo. Zwischen Überdruss (CSS steht ursprünglich für „Cansei De Ser Sexy“, was in etwa „Müde, sexy zu sein“ heißt), Stylesheetsprache und chinesischen Mittelstreckenraketen versucht diese Band auf ihrer zweiten LP in die Fußstapfen der ebenfalls müde, weil alt gewordenen B-52s zu treten.

Durchgehend tanzbare Uptempomusik mit vielen Gitarren also. Das Elektronische und das Brasilianische, auch in der Sprache, vereint im Baile Funk, auf dem Debüt von 2006 noch sehr präsent, haben sie leider liegen lassen. Warum auch immer. Vielleicht zu sehr auf den Welterfolg geschielt und deswegen gescheitert?

So klingen Stücke wie „Let’s Reggae All Night“ oder „Jager Yoga“ wie leere Versprechungen und durchweg mittelmäßig. Von der tollen Verve besonders der Sängerin Lovefoxx und ihren aus Kunst- und Modehochschulen stammenden Mitstreiterinnen (CSS sind eine fast reine Frauenband, nur am Schlagzeug sitzt ein Typ) ist nicht mehr viel übrig. Hits wie „Paris Hilton“ oder „Let’s Make Love And Listen to Death From Above“ fehlen hier fast gänzlich.

CSS wollten wohl auf Nummer sicher gehen. Englisch und Gitarren, das rockt dann schon. Falsch: Besser wäre es gewesen, heimische Bezüge nach außen zu stellen. Gutes Debüt, überflüssiges Zweitwerk, so sieht es aus.

CSS: „Donkey“ (Sub Pop/Cargo)

X-te Variante

Anderer Fall: die XX Teens. Fünf junge Männer, die gleich aus London kommen und also früh die Nase in der Popwelt hatten.

Auch hier gibt es einen Kunstschulenhintergrund. Auch hier gibt es anstrengende Klänge und Clubanleihen zu hören, insgesamt sind sie aber wesentlich geschmeidiger, weil songorientierter geworden.

Heißt natürlich nicht, dass es kein bratzendes Gitarrensolo wie in „Only You“ geben darf. Das Debüt „Welcome to Goon Island“, das lange auf sich hat warten lassen (ihre erste Single erschien bereits 2004), trägt eine Schmutzkruste aus Mitgrölrefrains, ordentlich verzerrten Gitarren und sonstiger rauer Verkleidung: Rock ’n’ Roll in der x-ten Variante und dem kleinen Wissen von Clubmusik eben.

Zum geil Ausflippen auf Tanzflächen, mit Bierdosen im Park oder einfach im eigenen Zimmer. Reißt die Poster ab, hängt neue auf! Ideen wie der Trompetensatz oder die Steeldrum in „Darlin‘“ oder auch die schön verlangsamte Nummer „Ba (Ba–Ba–Ba)“ zeigen, dass in den XX Teens mehr steckt als noch ’ne Rappelkistenband von der Insel. Ihre albernen Kampfnamen (Danny Fancy u. a.) oder die Schublade Horrorpunk tun dem Ganzen keinen Abbruch: Die XX Teens können auch mal halblang, und Rich Cash kann singen, wenn er will. Die Kinder werden es lieben.

XX Teens „Welcome to Goon Island“ (EMI)