Neues Primal-Scream-Album: Angeln mit Dynamit

Bringt selbst Gewässer zur Explosion: "Beautiful Future", das neue Album von Primal Scream. Mit ravigem Rock, düsterem Glamrock und Folk-Gästen.

Alt geworden? Nun ja: Primal Scream. Bild: warner music group

Bobby Gillespie und seine Band Primal Scream bringen seit 20 Jahren Musik heraus, die jeder Ausschweifung auf diesem Planeten Tribut zollt. Ihr Album "Screamadelica" von 1991 war ein bahnbrechendes Rock-und-Dance-Amalgam, das heute als Meilenstein der Rave-Musik gilt.

Mit "Beautiful Future", ihrem neunten Studioalbum, sind Primal Scream - nach einer stärkeren Orientierung hin zu Industrialsound und Electroclash - wieder zurück in der Indierockdisco. Gleich auf der ersten Singleauskopplung werden Voodoo-Trommeln direkt in Rolling-Stones-artige "Whooo"-Chöre überblendet: "Cant go back" hat die notwendigen psychedelischen Soundspielereien und die erforderliche Portion Größenwahn, die Popmusik einfach ganz groß wirken lässt. So entstehen knusprige Klänge, an die sich Kettenportemonnaie-Bands mit Punkrock-Realschulabschluss niemals herantrauen werden.

Dafür muss man eben doch ein bisschen Hippie im Herzen sein - zumindest was die musikalischen Visionen angeht. Aber es gibt mehr als nur ver-ravten Rock: In dem Song "Uptown" lassen Primal Scream ihre Soulchöre beispielsweise auf einem einfachen Disco-Dub-Rhythmus laufen. Ein Beat, mit dem die Boheme Kreditkarten-Besitzern schon seit dreißig Jahren erfolgreich das Geld aus der Tasche zieht. Der Löwenanteil von "Beautiful Future" wurde übrigens von Björn Yttling produziert, Mitglied des schwedischen Folk-Flöt-Trios "Peter, Paul and Björn". Yttling brachte Gillespie dazu, für "Beautiful Future" sogar das originale Abba-Klavier aus "Dancing Queen" zu benutzen. Aber skandinavische Fjord-Stimmung kommt an keiner Stelle auf. Zum Lachsangeln sollte man dieses Album lieber nicht mitnehmen. Außer man angelt mit Dynamit, denn das formidabel düstere Glamrock-Stück "Suicide Bomb", bringt selbst Gewässer zur Explosion.

Glamrock ist die vielleicht karnevalistischste Popidee, die jemals aus England kam: Als Frauen verkleidete Männer spielen leichtfüßig und verstrahlt in engen Hosen flamboyanten RocknBoogie. Bobby Gillespie und seine Band überführen diese Travestie in ein dunkles, David-Fincher-artiges Serienkillerverlies. Der Albumtitel "Schöne Zukunft" ist wohl nur dann wörtlich zu nehmen, wenn man sich Bilder aus Pornos und Horrorfilmen in Zukunft auf die Cornflakespackungen wünscht.

Bei Primal Scream wird aus Status quo der Status queer, und der bereitet höllisches Vergnügen. Was sich der kalkweißgesichtige Knochenmann Gillespie auf diesem Album allerdings komplett hätte sparen können, sind die so hochdotierten wie lustlos wirkenden Gastmusiker: die Folksängerin Linda Thompson, Lovefoxx von der brasilianischen Band CSS, aber allen voran der Kalifornier Josh Home: Die Riffs, die der Gitarrist von Queens of the Stoneage in dem Stück mit dem merkwürdigen Titel "Necro Hex Blues" anschlägt, fallen jedem Mucker aus einem Proberaumbunker in Berlin-Friedrichshain in drei Minuten ein. Überhaupt: Was soll das für ein Blues sein? Ein nekrophiler, okkulter Hexadezimal-Blues? Die Zahl 666 konnte ich nirgends heraushören, denn das Rückwärtsabspielen von Songs, wegen versteckter satanischer Botschaften, ist seit Einführung der CD leider unmöglich geworden.

Schockieren können Primal Scream ohnehin niemand mehr. Fast jede junge Band kennt und schätzt ihren musikalischen Einfluss, und seit Filmen wie "Trainspotting" braucht man auch keinem mehr etwas von Rave zu erzählen. Trotzdem: Lieber zehnmal "Beautiful Future" mit Primal Scream als auch nur einen "Beautiful Day" mit U2.

Primal Scream "Beautiful Future" (B-Unique/Warner)

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