Prekäre Befindlichkeiten

Ricky Moodys verweigert sich in „Paranoia“, einem Band mit „Novellas“, aufs Schönste der bekannten, wohl sortierten Wirklichkeit

In Amerika wird Rick Moody abwechselnd zum genialsten Autor des Landes erhoben und als faulster und schwülstigster Schreiberling seiner Generation beschimpft. Ihn nun dem Leser ausgerechnet mit dieser Sammlung seiner bislang schrulligsten Novellas vorzustellen, mag gewagt sein. Andererseits: Auch diese bestechen mit der musikalischen Sprache, die typisch für diesen Autor ist. Vor allem aber überzeugen sie mit wild aufgelösten Plots und einer definitorischen Bescheidenheit gegenüber den Figuren, die manchem Fan des geradlinigen Erzählens aufstoßen mag.

Schon die erste Geschichte in „Paranoia“, wie die Novellas im Deutschen betitelt wurden, beginnt, wie viele Geschichte Rick Moodys beginnen: Man hat zunächst einmal das Gefühl, als habe man es mit den ganz normalen, oft beschriebenen Befindlichkeiten der oberen Mittelschicht Amerikas zu tun. Das war schon bei der Beschreibung der amerikanischen Vorstadt in den Siebzigern aus Rick Moodys Roman „Eissturm“ so, in der Kinder ihre Unschuld für einen Kaugummi verkaufen und Eltern sich derweil über die Kratzer in ihren Paul-Simon-LPs aufregen – und das war auch in seinem „Wasserroman“ der Fall, in dem er den hysterisch zappelnden Medienmikrokosmos voller Agenturgirls, Actionfilmhelden und Modeopfer beschrieb.

Im Fall von „Omega Force“, der ersten Novella in Rick Moodys neuem Band, gerät der ehemalige Regierungsangestellte Jamie van Deusen, der in einer reichen kleinen Community auf Long Island hofft, sich mithilfe einer exklusiven Gesellschaft von passionierten Golfspielern abschotten zu können, ins Visier der Ermittlung. Was sich sonst bei Rick Moodys Romanen nach hundertzwanzig Seiten abspielt, geschieht hier recht schnell: Die Befindlichkeiten lösen sich auf. Sie trennen sich von dem, was sie verursacht haben mag, und lassen sich nicht mehr in eine Richtung deuten. Jamie van Deusen verliert bereits nach zehn Minuten Lektüre komplett die Übersicht – und mit ihm der Leser. Das, was den armen Kerl einmal als einsamen, verfolgungswahnanfälligen Bürger charakterisierte, ist nicht mehr hinreichender Grund für seinen Geisteszustand.

Sucht man Verwirrung und Unruhe als vornehmliches Lektüreziel, ist man in Rick Moodys dritter und ehrgeizigster Novella mit dem Namen „Die Albertine-Notizen“ noch besser aufgehoben. Auch hier beginnt alles wie ein Genrefilm – sagen wir wie Will Smiths „I am Legend“ – oder wie eine dieser Geschichten von Don DeLillo oder Jay McInerney, die im posttraumatischen Stress Disorder nach 9/11 graben. Doch schon nach wenigen Seiten wendet sich das Blatt, und die Geschichte stellt sich als weit mehr heraus als eine weitere todlangweilige zeitdiagnostische Fieberkurve inklusive moralisierender Gesellschaftskritik: Der Held, Kevin Lee, ein chinesischer Amerikaner in der dritten Generation, findet sich in den Resten eines New York wieder, in dem Downtown Manhattan von einer dreckigen Bombe dem Erdboden gleichgemacht wurde.

New Yorks Bevölkerung verliert sich in einer Droge namens „Albertine“, die ihren Konsumenten die Rückkehr zu ihren glücklichsten Erinnerungen verspricht. Von einem Softpornomagazin bekommt er den Auftrag, die Ursprünge der Droge zu recherchieren – und die Chance, seiner hoffnungslosen Reporterkarriere auf den Sprung zu helfen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Auch Kevin wird Opfer der verführerischen Droge, sie bringt ihn zurück zu Serena, seiner ersten großen Liebe.

Von nun an zerbröselt die Novella aufs Erfreulichste zu einer Proust’schen Meditation über Verlust und Trauer um eine Welt, die verflossen und nicht zurückzuholen ist. Irgendwann weiß man nicht mehr, ob man sich in der Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit befindet, selbst das Erinnern wird eine höchst prekäre Sache, denn jede der Zeitebenen beeinflusst und verändert die andere – und schließlich endet man wie Kevin in heilloser Orientierungslosigkeit. Man schlägt das Buch zufrieden zu, denn schließlich sind sie selten genug, diese Augenblicke, in denen es schwerfällt, sich eine vergleichbar wohl sortierte Wirklichkeit wiedereinzuklinken, in der jeder Tag einen Morgen, einen Mittag und einen Abend hat. SUSANNE MESSMER

Rick Moody: „Paranoia“. Novellas. Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Piper Verlag, München 2008, 245 Seiten, 18 Euro