Kunst aus Sperrmüll: Eine große Leuchte

Was rausmuss, muss raus. Der Sperrmüll aber ist eine feine Materialquelle für den Bildhauer Thorsten Brinkmann. Ein großes Bilderbuch stellt ihn vor.

Für manche Müll, für andere Rohmaterial für Kunst. Bild: dpa

Na, wie sieht es hier denn aus? Mit Brettern vernagelt sind die Fenster der Galerie. Schick, geradezu repräsentativ ist das Gebäude aus Schiefer und Glas, ganz Hamburger kühle Schönheit, prollig dagegen die Vernagelung mit Brettern hoch und Latten quer. Schon pleitegegangen, die Galerie oder was auch immer in diesem noblen Ambiente auf Kundschaft wartete, suggeriert der Anblick dieses Ortes.

Aber, nein, das ist alles ganz anders. Denn erstens handelt es sich bei der Ausschließung aus dem Galerieraum um eine künstlerische Aktion von Thorsten Brinkmann 2004, die zweitens heute nur noch als Foto existiert, zu finden in einem Bildband mit dem schlichten Titel "Thorsten Brinkmann". Drittens steht dort als Titel "Vamos a la playa". Gehen wir zum Strand. Schön. So wird aus dem Pleitegeier, der eben noch über der Szene schwebte, die Möwe, die der faul im Sand liegende Künstler beobachtet.

Thorsten Brinkmann ist ein findiger Mensch. Er findet Bilder, die in der Komposition ihrer Linien und Flächen an Piet Mondrian und andere Meister der Abstraktion erinnern, dort, wo andere Augen vermutlich nur die vermieften Altlasten aus Jahrzehnten trockener Aktenbearbeitung der Landesversicherungsanstalt (LVA) sehen. Aus dem ausrangierten Inventar der alten LVA baute er einen äußerst exakt gestapelten Kubus von 3,6 Meter Kantenlänge, in dem Tischplatten, Schranktüren, Schubladen, Papierkörbe zunächst auf ihr kleinstmögliches Volumen verdichtet schienen, sozusagen ein Urknall rückwärts, eine Zusammenballung der Masse, die vorher auf fünf Gebäude verstreut war.

"Büro Büro", so der Titel des Kubus, war ein bildhauerisches Ereignis, das den Wechsel markierte, von einer Generation von Büromöbeln und womöglich auch veränderten Anforderungen der Arbeitswelt. Aber "Büro Büro" war nicht nur das, sondern auch ein malerisches Projekt. Als Skulptur stand der Kubus nicht lange, aber in Fotografien, die Brinkmann von Ausschnitten dieser kompakten, rechtwinkligen Anordnung machte, kann man ebenjene kompositorischen Qualitäten entdecken, die so sehr an die Handschrift berühmter Maler erinnern.

"Büro Büro" und die anschließende fotografische Serie von 25 Digitalplots entstanden 2002, in dem Jahr, in dem der 1971 in Herne geborene Brinkmann an der Hochschule für Bildende Künste sein Diplom bei Bernhard Blume machte. Ein Aufbaustudium bei Franz Erhard Walther schloss sich an. Man kann den Einfluss von beiden bei Brinkmann entdecken, Blumes verrückt inszeniertes Eigenleben der Dinge und Walthers performatives Vermessen der Welt mit dem eigenen Körper. Mit ihnen sind längst noch nicht alle künstlerischen Konzepte benannt, die Brinkmann in seiner Arbeit zusammenbiegt, bei Dada und Duchamps angefangen. Das Besondere aber, und das bringen die vielen Fotografien des Brinkmannbuchs Seite für Seite zur Geltung, das Besondere ist der Witz, mit dem er die Konzepte in der Warenwelt von heute weiterlebt.

Brinkmann nennt sich selbst einen Serialsammler, einer, der notorisch der Lust am Anhäufeln des nicht unbedingt Zusammenpassenden folgt, manchmal schon zwanghaft. Sperrmüll lautet oft die Materialangabe, Sperrmüll erzählt oft viel vom Leben. Er muss raus, wo die Dingwelt überhandnimmt. Dass auch der Künstler als Sammler dabei vor allem ein Schlepper ist, dessen eigenes Leben leicht unter den Lasten des geborgten Lebens verlorengehen kann, sieht man in Brinkmanns Selbstporträts. Eines heißt "Soviel wie möglich auf einmal tragen" und zeigt ihn, den Kopf unter einem Eimer, zwischen den Beinen eine Matratze, mit Küchengeräten und Badezimmergarnituren behängt. Man zweifelt, ob er sich so noch bewegen kann, immerhin muss es reichen, um in zehn Sekunden den Selbstauslöser zu betätigen. Nicht zuletzt steckt eine Menge Slapstickpotenzial in der Vorstellung, wie er denn an seinem Material arbeitet.

In einem anderen Porträt steht er als "Leuchte" vor uns, nur die Beine in Jeanshosen und Turnschuhen schauen unter dem Lampenschirm raus. Eitel ist dieser Mann nicht, das muss man sagen, soviel er auch performt, sein Gesicht ist in dem ganzen Buch nicht einmal zu finden. Er dient im Arrangement der Dinge; schließlich ist der Künstler als Dienstleister im Kampf der Kunst um auch soziale Wirkung noch immer ein Topos von Bedeutung. Brinkmann scheint nicht ganz an diese erlösende Funktion zu glauben und nimmt auch das Dienen von seiner skurrilen Seite.

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