Besser als „Verrückt...“ und nötig

„Finnischer Tango“ von Buket Alakus ist mehr als die Fortsetzung von „Verrückt nach Paris“

Bremen erwacht gerade aus einem cineastischen Dornröschenschlaf. Bis vor kurzem war Peter Zadeks „Ich bin ein Elefant, Madame“ der einzige bekannte Kinofilm, der in der Hansestadt gedreht wurde, doch inzwischen taucht sie sogar in US-amerikanischen Filmkritiken auf: „Cut to Bremen, in northern Germany“ konnte man etwa im Mai dieses Jahres in der Zeitschrift „The New Yorker“ lesen, für die Anthony Lane eine mehrseitige Hymne über „The Edge of Heaven“ geschrieben hatte. So der englische Titel von Fatih Akins „Auf der anderen Seite“, der zum Teil im Ostertorviertel gedreht wurde. Hamburg wird in der Kritik übrigens mit nicht einmal halb so vielen Silben erwähnt.

Vor drei Jahren kam schon Neele Vollmars „Urlaub vom Leben“ mit schön vielen Außenaufnahmen von der Stadt in die Kinos, aber der Lieblingsfilm der Lokalpatrioten ist immer noch der 2002 gedrehte „Verrückt nach Paris“ von Pago Balke und Eike Besuden, von dessen mehr als 170.000 Kinobesuchern bestimmt mehr als die Hälfte aus Bremen kamen.

So sind die Erwartungen an das Nachfolgeprojekt hochgesteckt. Eike Besuden hat diesmal „nur“ produziert. Regie führte die deutschtürkische Filmemacherin Buket Alakus, die sich vor drei Jahren mit dem Fußballfilm „Eine andere Liga“ einen Namen machte. Und „Finnischer Tango“ ist besser als nötig geraten. Solch ein Lob mag merkwürdig klingen, aber wenn man sich an die eher holprige Dramaturgie von „Verrückt nach Paris“ und dessen TV-Ästhetik erinnert, beginnt man schnell zu würdigen, wie filmisch, ja manchmal fast übermütig, hier erzählt wird.

Es lohnt sich etwa, auf das ersten und das letzten Bild des Films zu achten, denn diese sind tatsächlich in Öl gemalte „Bilder“, aus denen der Film zuerst erwacht und in die er am Ende dann wieder gefriert. Es gibt auch einige elegante Montagen, die eher der Tradition von Hollywood als dem nüchternen deutschen Autorenkino geschuldet sind, und schließlich eine besonders für Bremer Zuschauer schwindelerregende Einstellung, in der ohne Schnitt von einer Wohnung, die systematisch von Schlägern zerlegt wird, zu einer Aussicht von hoch oben auf den nächtlichen Marktplatz geschwenkt wird.

Auch dass Drehbuch ist erstaunlich ausgefuchst. Mit dem Tangomusiker Alex hat der Film einen extrem unsympathischen Protagonisten, der rücksichtslos jeden ausnutzt, und der sich vor einigen seiner aus gutem Grund wütenden Opfern zu einer Gruppe von Behinderten flüchtet, die (im ‚Schlachthof‘) zusammen für ein Theaterstück proben.

Der innerlich Behinderte erkennt sich im Laufe das Films durch den Umgang mit äußerlich Behinderten selber: Das ist natürlich auch der Plot von ‚Verrückt nach Paris‘. Man kann den narrativen Stammbaum sogar noch weiter bis ‚Rainman‘ und ‚Freaks‘ von 1932 verfolgen, und dabei in einer Nebenlinie ‚Harold and Maude‘ entdecken, aus dem dann auch eine Filmfigur mit theatralisch vorgetäuschten Selbstmorden gemopst wurde.

Angenehm ist zudem, dass dies kein „netter“ Film ist, in dem die Behinderten als die besseren Menschen auf ein Podest gestellt werden. Stattdessen werden auch sie durchweg als komplexe, widersprüchliche Charaktere gezeigt, ein anderer Reiz entsteht aus dem Kontrast zwischen den professionellen Schauspielern wie Christoph Bach oder Fabian Busch und den Laiendarstellern, zu denen auch die Tochter von Angela Winkler, Nele gehört, die mit einem Down Syndrom geboren wurde. Oft stehlen die Laien sogar ihren professionellen Kollegen die Show.

Wilfried Hippen