"Speed"-Autor über die Droge und ihre Gesellschaft: "Der Rausch der Selbstkontrolle"

Für die Popmusik des 20. Jahrhunderts war Speed eine wichtige Droge. Wie Amphetamine uns weiter beeinflussen, beschreibt Hans-Christian Dany in seinem Buch "Speed - eine Gesellschaft auf Droge".

"Für die Popmusik des 20. Jahrhunderts war Speed wichtiger als Kokain, Heroin oder Cannabis." Bild: dpa

taz: Speed heißt Geschwindigkeit. Und Speed ist eine illegale Droge. Auch viele Leute, die niemals illegale Drogen nehmen würden, haben Erfahrungen mit Speed. Wie kommt das?

Hans-Christian Dany: Speed hat viele Namen. Ältere Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben, kennen es als Pervitin, den Markennamen einer Droge, die von der Wehrmacht verteilt wurde, vor allem vor Kampfeinsätzen.

Gab es nach 1945 auch aufputschende Arzneimittel, die legal erhältlich waren?

Damit wurde während des Wirtschaftswunders länger gefeiert oder intensiver gearbeitet. Um 1968 herum kennt man Speed als AN 1, das war leicht erhältlich. In den 70er Jahren wurde es unter Teenagern beliebt als Captagon oder "Cappies", ein Aufputschmittel. Heute kennen wir das Amphetamin-ähnliche Medikament Ritalin. Gleichzeitig gibt es seit den 60er-Jahren illegal hergestelltes Amphetamin und Methamphetamin. Das heißt Pep oder Speed und kursiert derzeit in einer starken, kristallinen Form als Crystal.

Ritalin wird Kindern verabreicht, die unter dem sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) leiden. Warum gibt man hyperaktiven Kindern ausgerechnet Speed?

Es geht darum, dass sie funktional auf den Punkt kommen. 1937 hat der amerikanische Forscher Charles Bradley zum ersten Mal das neu entwickelte Medikament an Kindern erprobt und festgestellt, dass sie sich damit besser konzentrieren. Es gibt darüber einen alten Streit in der Medizin. Manche sprechen von einer Adrenalinüberproduktion bei Kindern, die noch mal gepuscht wird, damit die Erschöpfung danach in einen Normzustand übergeht. Andere behaupten eine Adrenalinunterproduktion, deretwegen Kinder ihre Konzentration nicht andauernd im Griff haben und aufgeputscht werden können.

Es heißt, Speed macht Rebellen rebellischer und Angepasste angepasster.

Speed führt seine Benutzer zunächst nicht in Parallelwelten, sondern lässt die bestehende Realität aufleuchten, macht alles sehr viel präsenter. Dass man damit widerständiger wird, ist naheliegend, da es genug Gründe gibt, sich gegen diese Wirklichkeit zu wehren.

Das wäre die Erklärung für die rebellischeren Rebellen. Aber wie macht Speed Angepasste angepasster?

Auf Speed springen die Benutzer in die Wirklichkeit. Einige springen, um alles zu zerschlagen oder zu tanzen. Andere springen in die Arbeit, um zu funktionieren.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Speed zu schreiben?

Ein befreundeter Musiker aus Island war auf Ritalin. Er hatte jahrelang Speed genommen und sich dann vom Arzt auf Ritalin einstellen lassen, weil er mit den Nebenwirkungen im Vergleich zum Schwarzmarkt-Amphetamin besser klarkam. Aber er erhielt das Ritalin nur in kleinen Dosen. Es hätte nie gereicht für eine Deutschland-Tour. Also bat er Freunde, ob sie ihm auf dem Schwarzmarkt Speed besorgen können. Und da wurde ich gefragt.

Als bekannter Speed-Dealer?

Nö, aber irgendjemand meinte, ich könnte das besorgen, es lag eine Verwechslung vor. Ich wohnte damals auf dem Land und habe den Trainer des örtlichen Fitnessstudios gefragt. Der hat sofort gesagt, kein Problem. Ich brauchte 30 Gramm, also ziemlich viel. Das hat er mir dann für 5 Euro das Gramm besorgt, vor acht Jahren. Die komische Konstellation - Musik machen, Rauschmittel durch Medikament ersetzen, Medikament wieder durch Rauschmittel ersetzen, nervöse Kinder, kundige Trainer auf dem Land - das ging mir nicht aus dem Kopf. Als ich anfing, in die Materie einzutauchen, fiel mir auf, dass es kaum Literatur über Speed gibt.

Sie erzählen Geschichten von Speed-Nutzern wie Andy Warhol. Und von Judy Garland, der berühmten Schauspielerin und Sängerin.

Judy Garland war 15, als sie gecastet wurde für den Film "Der Zauberer von Oz", also eigentlich zu alt für die Rolle des Kindmädchens Dorothy. Just zu Beginn der Dreharbeiten, 1939, fing sie an zu pubertieren. Daraufhin hat die Produktion ihr Amphetamin verschreiben lassen, um ihren Appetit zu zügeln und das Pubertieren zu bremsen. Wenn man den Film mit diesem Wissen anschaut, fällt ihr Blick noch mehr auf. Sie schaut einen so entrückt aus der Ferne an.

War Amphetamin in den USA legales Medikament oder illegale Droge?

Judy Garland bekam Benzedrin verschrieben. Das war ein völlig normales Medikament, wie heute Aspirin.

Welche Rolle spielen Amphetamine im Zusammenhang mit Magersucht und Schlankheitsimperativen?

Es gibt eine Interpretation der Anorexie, die besagt, es ginge um Selbstkontrolle als Machtersatz in einer Umgebung, in der sich Mädchen und junge Frauen vollkommen machtlos fühlen. Diesem Gefühl der Machtlosigkeit setzt Speed ein rauschhaftes Erleben der Selbstkontrolle entgegen - die Benutzer können Schlaf, Hunger, Schwäche oder nachlassende Energie zumindest auf Zeit in den Griff bekommen.

Nicht nur junge Frauen benutzen Amphetamine heute zum Abnehmen.

Andy Warhol war sehr unglücklich über sein Gewicht. Wir kennen ihn ja als dünnen Menschen, aber er empfand sich als zu fett, und dagegen hat er Amphetamine genommen. Die hat er sich von seinem Arzt verschreiben lassen, damals ein ganz normaler Vorgang. Mit der ersten Verschreibung eines leichten Appetitzüglers setzt auch ein Wandel in seiner Arbeit ein. Die ersten Campbell-Suppendosen, die wir alle kennen, sind noch mit der Hand gemalt. Dann geht er zum Arzt und sagt, ich bin zu dick und möchte etwas dagegen haben. Er bekommt Amphetamin und wechselt zu einer maschinellen Form, zum Siebdruck. Er ist immer noch nicht zufrieden mit sich, lässt sich ein stärkeres Amphetamin verschreiben, Orbetrol, heute Adderall. Kurz darauf wechselt er zum Film und dreht den berühmten Film "Sleep". Mir geht es darum, Drogen als ein Medium und als Technologie bei einer Band wie Kraftwerk zu beschreiben.

Kraftwerk?

Kraftwerk legen ja großen Wert auf Distanz zu jeglichen Rockattitüden, also auch zu Drogen. Keine Amphetamine! Das kann man ihnen glauben oder nicht. In jedem Fall hat ein Song wie "Autobahn" viel mit Speed zu tun. Für repetitive, Loop-basierte Musik war Speed eine hilfreiche Droge. Für die Popmusik des 20. Jahrhunderts war es wichtiger als Kokain, Heroin oder Cannabis.

Judy Garland ist nur eine von vielen tragischen Frauen auf Speed. Bei den Männern gibt es weniger Dramen. Können Männer Speed produktiver nutzen, während Frauen daran kaputtgehen?

Eine positive Userin wäre Julie Burchill. Heute kennt man sie ja mehr als konservative Autorin. Am Anfang ihrer Journalistenkarriere beim New Musical Express war sie eine Art auf Speed schreibende Antreiberin von Punk. Speed ist ja die erste Droge, die gleichermaßen von Männern wie von Frauen benutzt wurde. Wobei Wirkung und Umgang sehr unterschiedlich sind. Trotzdem scheint es so, dass viele Männer Speed produktiver nutzen können. Bei Frauen tritt ab einem bestimmten Moment das selbstzerstörerische Element in den Vordergrund. Vielleicht hat es weniger mit biologischen Dingen zu tun, als mit den Motiven, aus denen Drogen benutzt werden.

In den letzten Jahren hat Speed in Form von Crystal Meth eine Renaissance erlebt. Wie funktioniert Crystal im Vergleich zu herkömmlichen Speed?

Crystal ist ungefähr sechsmal so stark wie Speed. Es ist sehr beliebt auf schwulen Sexpartys, führt zu Enthemmung. Man kann damit tagelang wachbleiben. Bei einigen führt es zu extrem langen Erektionen, oft in Kombination mit der Einnahme von Viagra. Aids-Aktivisten von Act Up vertreten die These, dass Crystal auch verantwortlich ist für den Anstieg von HIV-Infektionen, gerade bei jüngeren Homosexuellen.

Der Musiker Rufus Wainwright war eine Weile auf Crystal. Er sagte, es sei ein Wunder, dass er sich nicht infiziert hat.

Es führt oft dazu, dass Safer-Sex-Praktiken vernachlässigt werden. Aber es gibt auch Gegenstimmen aus der Clubszene, die sagen: Mit euren Horrormeldungen arbeitet ihr nur der Bush-Regierung zu. Ihr betreibt Ausgrenzung und Schuldzuschreibung, und predigt ein normiertes, wohlanständiges Leben.

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