"A Serious Man": Die Coen-Brüder spielen Gott

In ihrem neuen Film "A Serious Man" wenden die Brüder Joel und Ethan Coen ihre elegante Ironie auf die eigene Kindheit und das Unbedingte der Religion an.

Joel (li.) und Ethan Coen (re.) mit Michael Stuhlbarg, der für seine Rolle in "A Serious Man" für einen Golden Globe nominiert wurde. Bild: ap

Der Gitarrist Jorma Kaukonen ist nicht jedermann geläufig, und schon gar nicht muss man von einem alten Rabbi erwarten, dass er Kaukonen der Band Jefferson Airplane zuordnen kann und damit einer Jugendkultur, die im Jahr 1967 gerade den "Sommer der Liebe" ausgerufen hat. In einem Suburb von Minneapolis, in dem Lawrence Gopnik mit seiner Familie lebt, ist davon noch nicht viel zu verspüren - außer eben, dass sein Sohn ständig einen Knopf im Ohr hat, aus dem er den Superhit "Somebody to Love" von "Jefferson Airplane" hört, oder dass seine Tochter sich neuerdings ständig die Haare wäscht oder dass seine Ehefrau ihm plötzlich eröffnet, dass sie eine Beziehung zu dem gemeinsamen Freund Cy Ableman angebahnt hat (vorerst noch ohne "woopsy-doopsy").

Lawrence Gopnik versucht, alle diese Vorgänge irgendwie zu verarbeiten, und zwar dem Titel entsprechend, den Joel und Ethan Coen ihrem neuen Film gegeben haben: "A Serious Man". Lawrence Gopnik ist ein ernsthafter Mann. Dazu ist er schon deswegen besonders befähigt, weil er beruflich mit Mathematik und Physik zu tun hat. Er unterrichtet das Fach an einem College in der Gegend und steht kurz vor der Beförderung zu einer festen Anstellung. Das Leben könnte so toll sein, wäre es nicht in Wahrheit so ein großes Durcheinander.

Unter anderen Umständen würden wir bei dem, was Lawrence Gopnik widerfährt, von einer klassischen Midlife-Crisis sprechen. Doch im Falle dieses Films ist alles entscheidend anders konnotiert. Denn Lawrence Gopnik (Michael Stuhlbarg) ist Jude, wie auch seine ganze Familie, alle seine Freunde, (fast) alle seine Nachbarn. Eine Midlife-Krise kommt deswegen nicht einfach von ungefähr oder mit den Jahren, sie kommt immer von ha-Schem (mit dieser Umschreibung sprechen Juden von Gott, dessen Namen sie nicht aussprechen).

Ha-Schem schickt nicht nur die Prüfungen, er hat auch über viele Jahrtausende jüdischer Geschichte die Antworten bereitgestellt. Denn was auch immer geschieht, es muss interpretiert werden. Deswegen muss ein Rabbi konsultiert werden, und wenn der nicht weiterweiß, dann muss der Rabbi mit der nächstgrößeren Autorität konsultiert werden. Bis hinauf zu Rabbi Marshak, von dem wir aus dem Prolog zu "A Serious Man" annehmen können, dass er vielleicht ein böser Geist aus der jiddischen Welt ist, von der sich die Gopniks so weit wie nur möglich in die Welt der amerikanischen Mittelklasse hinein entfernt haben. Vergeblich, denn ha-Schem holt jeden ein, und wenn nicht er, dann vielleicht ein böser Ironiker, der sich über den Wunsch der Menschen lustig macht, ein bisschen Stabilität ins Leben zu bekommen.

Für die Coen-Brüder bedeutet "A Serious Man" einen sehr interessanten Schritt. Denn hier wenden sie ihr Markenzeichen, eine elegante, schwer greifbare Ironie, auf zwei Gegenstände an, die sich diesem Zugriff entziehen: die eigene Kindheit und das Unbedingte der Religion. Das Minneapolis des Films ist so nahe an der Autobiografie der Coens, wie es bei diesen großen Verfremdern nur denkbar ist, und die Fragen der Religion werden mit einer Insistenz gestellt, die einem das Lachen immer wieder gefrieren lässt. Genau das ist die Haltung des Deadpan, und die wird hier zu einem Existenzprinzip.

Denn die Heimsuchungen des "ordinary man" Larry Gopnik sind von der Qualität, auf die sich schwer adäquat reagieren lässt (wie auf das Ansinnen seines koreanischen Studenten Clive, der eigentlich nur eine bessere Note haben will, dabei aber in einer Weise argumentiert, dass selbst die berühmten buddhististischen Koan-Rätsel im Vergleich wie einfacher Denksport wirken). Dass in Larry Gopnik ein moderner Hiob steckt, also ein gottgefälliger Mann, der gerade deswegen schweren Prüfungen unterzogen wird, ist verschiedentlich bemerkt worden - die Coens lösen die Hiob-Geschichte aber in die Paradoxien Kafkas hinein auf. Larry Gopnik ist ein Mann, der vor dem Gesetz kampiert, aber trotzdem nachts in ein Motel mit dem Namen "Jolly Rogers" zum Schlafen geht.

"A Serious Man" hat eine interessante Nebenfigur, den leicht verwirrten Onkel Arthur (Richard Kind, der so großartig den Cousin von Larry David in "Curb Your Enthusiasm" spielt), der mit einer Welttheorie schwanger geht, die den Zufall berechenbar machen würde. Für diese Anmaßung ist er mit schwerer Realitätsverkennung geschlagen worden, und das wiederum macht ihn zu dem idealen Partner von Larry, dem sein Realismus auch nichts hilft.

Er ist nichts weiter als der Spielball einer Macht, gegen die es keinen Einspruch gibt: Es sind die Brüder Coen selbst, die hier auf unnachahmliche Weise Gott spielen und diese bizarren Interventionen zugleich durch die seltsamen Kameraperspektiven von Roger Deakins registrieren lassen. Im Zentrum des Experiments: Larry Gopnik, ein ernsthafter Mann. Somebody to love.

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