Neue Gesellschaft

MENSCH & NATUR Moshe Zuckermann diskutierte auf Einladung der Jour-Fixe-Initiative über Adorno

Dass Kunst verstörend bleibe, könne man deswegen nicht garantieren

VON SONJA VOGEL

Um die 100 Zuhörer waren am frühen Sonntagabend in die Räume der NGBK gekommen, um den Eingangsvortrag des israelischen Soziologen Moshe Zuckermann über „Kunst, Natur und das ganz Andere bei Adorno“ zu lauschen. Zuckermann ist der erste Referent in der Veranstaltungsreihe „Die Natur des Kapitalismus – von der Kritik zur kommunistischen Ökologie?“ der Jour-Fixe-Initiative-Berlin, die sich vornimmt, die ökologische Frage emanzipatorisch zu stellen. Schließlich sind die ökologischen Auswirkungen der Globalisierung weltweit sehr ungleich verteilt.

Dass die Auftaktveranstaltung zunächst in die „Dialektik der Aufklärung“, die in den Vierzigerjahren im US-Exil erschien, einführt, scheint von daher folgerichtig. Adorno und Horkheimer zeigten darin auf, dass das Mensch-Natur-Verhältnis seit der in der Aufklärung vollzogenen Trennung von Subjekt und Objekt durch ein dreifach abgeleitetes Herrschaftsverhältnis geprägt ist: Durch die Unterwerfung der äußeren und der inneren Natur und schließlich durch die Herrschaft des Menschen über den Menschen.

Austauschbarer Mensch

Zuckermann führt aus: Die Individuation produziert den Menschen als Herrschaftssubjekt, ohne Naturbeherrschung gibt es aber keine Kultur. Indem der Mensch die Natur durch einen Akt der Abstraktion „greifen und begreifen“ lernte, konnte er sie nach seinen Bedürfnissen bearbeiten und den unbegrenzten Zugriff legitimieren.

Die Herrschaft über die Natur wendet sich aber gegen das Subjekt selbst, da die Unterwerfung alles Seienden unter die Rationalität den Menschen nicht ausspart. „Der Mensch wird austauschbar, nummeriert, zum Exemplar“, so Zuckermann. Am Ende dieses Prozesses steht Auschwitz. Für Adorno gibt es allerdings ein Refugium, das er als aus dem dreifachen Herrschaftsparadigma entflohen ansieht.

Ausgerechnet im naturfernen Bereich der Kunst nämlich verkehre sich das fatale Verhältnis von Subjekt und Objekt. Die Zwecklosigkeit der Kunst ermögliche „ein interessenloses Hingegebensein des Subjekts an das Objekt“, höchstens noch vergleichbar mit den historischen Reliquien Religion oder Liebe, in dem die utopische Perspektive des ganz Anderen aufscheint.

Gleichzeitig, das beschrieben Adorno/Horkheimer unter dem Stichwort der Kulturindustrie, laufe Kunst immer Gefahr, „in die Falle der Fetischisierung zu tappen und das ganz Andere zu verlieren, indem sie wiederholt.“ Dass Kunst verstörend bleibe, könne man darum nicht garantieren. Denn auch die Kunst, die Formulierung „schöner Schein“ verweist darauf, ist janusköpfig.

Die kurze Pause nutzen viele Gäste, um zu gehen. Das Thema ist komplex und ein Anschluss an das Ziel der Reihe, die ökologische Frage emanzipatorisch zu stellen, nicht absehbar.

Wo ist die Antwort?

Als die Diskussion eröffnet wird, zielt eine der ersten Fragen darauf ab. Ob eine Versöhnung mit der Natur durch die Kunst denn nun möglich sei, fragt eine junge Frau. Zuckermann wiegelt ab. Von der Vorstellung der Versöhnung mit der Natur, die meint, dass Natur unangetastet bleibe, müsse man sich verabschieden. Stattdessen sei es vor dem Hintergrund des ökologischen Raubbaus an der Zeit, die Frage zu stellen: „Was müssen wir und was müssen wir nicht?“

Dies zeige, dass an diesem Abend lange zu sehr in Kategorien der ersten Welt gesprochen wurde. Da es aber nicht tragbar sei, dass Menschen durch Hunger krepierten, obwohl ihre Versorgung gewährleistet sein könnte, lasse das „die Versöhnung des Menschen mit dem Menschen“ in den Vordergrund rücken. An der Neuordnung der Gesellschaft führt für Zuckermann darum kein Weg vorbei.

Schön wäre die Umkehrung des Verhältnisses von entfremdeter Arbeit („Reich der Notwendigkeit“) und freier Zeit („Reich der Freiheit“). Mit Verweis auf die Figur des Odysseus, der sich, um dem Gesang der Sirenen zu widerstehen, an den Schiffsmast fesseln ließ, fragt ein junger Mann, ob das Herrschaftssubjekt sich von den Fesseln befreien und einen Prozess der „Entherrschaftlichung“ überstehen könnte, ohne vom Kapitalismus aufgefressen zu werden. „Wüsste ich die Antwort“, erwiderte Zuckermann, „würde ich mich für den Nobelpreis bewerben.“