Streifzug durch Brooklyn

NEUES TERRAIN Mit „Two Lovers“ experimentiert James Gray mit einem ihm bislang fremden Genre. Geblieben sind aber sein ausgeprägter Sinn für die Mechanismen der griechischen Tragödie – und sein Hauptdarsteller Joaquin Phoenix

James Grays „Two Lovers“ beginnt mit einem Selbstmordversuch. Von hieran ist Leonard Kraditor (Joaquin Phoenix) nicht mehr zu retten. Leonard lebt nach seinem letzten Selbstmordversuch wieder bei den Eltern, übertrieben umsorgt von seiner Mutter, die ihren Sohn mit Argusaugen überwacht. Tagsüber hilft er im Geschäft seines Vaters aus, wenn er nicht gerade mit seiner Schwarz-Weiß-Kamera durch Brooklyn streift (Grays Liebe zu den unerschlossenen Gegenden New Yorks verleiht seinen Filmen eine griffige Textur). Verzweifelt sucht Leonard nach Halt, seit seine Verlobte ihn verlassen hat.

Zwei Frauen

Hin- und hergerissen zwischen familiärer Loyalität und seinen eigenen unartikulierten Leidenschaften driftet Leonard vor sich hin, bis eines Tages zwei Frauen in sein Leben treten – die eine unverhofft, die andere von langer Hand geplant. Die etwas schüchterne Sandra ist die Tochter des zukünftigen Geschäftspartners seines Vaters und natürlich ganz nach dem Geschmack der Eltern: ein nettes jüdisches Mädchen aus gutem Hause. Der anderen, Michelle (Gwyneth Paltrow), begegnet er zufällig im Hausflur; über den Hof hinweg können sie sich auch in ihren Zimmern beobachten.

Als Leonard die labile Frau zum ersten Mal mit nach Hause bringt, reagiert seine Mutter eisig. Michelle verspricht Ärger: Sie feiert, nimmt Drogen und lässt sich von ihrem verheirateten Liebhaber aushalten. Aber ihre Sprunghaftigkeit bedeutet für Leonard auch einen Ausbruch aus den geordneten Verhältnissen seines Elternhauses.

Nach drei Gangsterdramen hat sich Gray mit „Two Lovers“ auf für ihn ungewöhnliches Terrain begeben: Geblieben sind sein ausgeprägter Sinn für die Mechanismen der griechischen Tragödie – und sein Hauptdarsteller Joaquin Phoenix.

Phoenix ist selbst ein unberechenbarer Charakter. Nach der Filmpremiere in Cannes verkündete er seinen Rückzug von der Schauspielerei; kurz darauf kursierte im Internet ein Video, in dem er sich als Rapper versuchte. (Eine misslungene Breakdance-Einlage gehört zu den bizarren Höhepunkten von „Two Lovers“.) Seinem erratischen Spiel zwischen verletzlicher Unsicherheit und latentem Narzissmus verdankt diese im Grunde älteste Geschichte des Kinos ihren erfrischenden Ton – sofern man ein Faible für die monochromen Beziehungsdramen des späten Ingmar Bergman hat.

Gedämpfter Ton

Gray erzählt seinen Film mit protestantischer Strenge, was hier einen interessanten Kontrast zum jüdischen Milieu darstellt. Ein Eindruck, den die Besetzung der Rolle von Leonards Mutter mit Isabella Rossellini noch verstärkt. An Realismus zeigt sich Gray in „Two Lovers“ jedenfalls nicht sonderlich interessiert. Er hält die Farbpalette gedeckt, was zum gedämpften Tonfall des Films beiträgt. Solche Stilisierungen waren sicher ein Grund für die Begeisterung der französischen Kritik. An den amerikanischen Kinokassen floppte der Film dennoch. Dieses Befremden ist teilweise nachvollziehbar.

„Two Lovers“ entzieht sich durchaus methodisch den Erzählmustern des Liebesfilms. Er spielt mit beiden Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, die bekannten Annäherungsrituale junger Großstädter durch; doch schon in der Bildsprache zeichnet sich das Scheitern Leonards ab. Dass Gray seine Figuren trotz dieses Allwissens bis zum Ende ernst nimmt, trägt maßgeblich zum Gelingen dieses sonderbaren filmischen Experiments bei. ANDREAS BUSCHE

■ „Two Lovers“. Regie: James Grey. Mit Isabella Rossellini, Joaquin Phoenix, Gwyneth Paltrow u. a. USA 2008, 100 Min.