Der leere Himmel über Guantánamo

AL-QAIDA Der eine landete im US-Knast, der andere im Aussteigerprogramm. Der Forums-Film „The Oath“ zeigt, was aus Bin Ladens Fahrer und Leibwächter wurde

Manchmal klingt Abu Jandal wie Peter Jürgen Boock, der über die Dritte Generation der RAF lästert

Flackernde Schwarz-Weiß-Bilder zeigen einen Delinquenten, der auf dem Boden kniet. Um ihn stehen GIs, die wie Schatten wirken. Der Verdächtige heißt Hamdan und war der Fahrer von Ussama Bin Laden. Die Szene ist kurz nach 9/11 aufgenommen. Die verwackelten Bilder zeigen keine Gewalt, aber wir assoziieren sie wie von selbst mit Abu Ghraib.

Diese Szene gibt den Ton vor. „The Oath“ ist ein Dokumentarfilm über Gewalt, den islamistischen Terror von al-Qaida und den rechtlosen „Krieg gegen den Terror“ der USA. Hamdan, eine der beiden Hauptfiguren, wird nach Guantánamo verschleppt und dort sieben Jahre festgehalten. Laura Poitras, die US-Regisseurin, versucht den Schrecken dieses Ortes nicht wie sonst üblich mit pulsierendem Sound, Reißschwenks und Reenactment zu illustrieren. Sie zeigt den Himmel über Guantánamo. Wolken ziehen vorüber. Am Horizont sieht man das Gefängnis. Aus dem Off sind Zitate aus Briefen zu hören, die Hamdan an seine Frau schreibt. Die leeren, elegischen Bilder deuten an, was dokumentarisch nicht zu zeigen ist: den Alltag in Guantánamo. Wir müssen diese Stillleben mit unseren eigenen Bildern füllen.

Von Hamdan, einer Schlüsselfigur des Films, sehen wir nur ein Foto. Er ist wie ein Geist, nie sichtbar, immer präsent. So wie die Gewalt in „The Oath.“ Wir sehen einen Taxifahrer in Sanaa, der sich durch den Verkehrsstrom in der jemenitischen Hauptstadt kämpft. Er hat wache Augen, redet schnell und argumentiert geschickt. Abu Jandal, der Taxifahrer, war Bin Ladens Leibwächter. Hamdan ist sein Schwager. Abu Jandal war der Clevere, Kluge, Redegewandte, Hamdan der Ungebildete, der Mitläufer. Abu Jandal zog in den Dschihad, Hamdan folgte. Und endete in Guantánamo. „Wie soll ich seiner Tochter in die Augen sehen, wenn er in Guantánamo stirbt?“, fragt sich Abu Jandal. „The Oath“ ist vor allem ein Film über Schuld.

Abu Jandal ist eine schillernde, abgründige Figur. Er erzählt mit leuchtenden Augen von Bin Laden, den er noch immer verehrt. Mit 9/11, sagt er jungen Islamisten, haben wir Würde und Stolz der USA getroffen. Abu Jandal ist sein Nom de Guerre. In Wirklichkeit heißt er Nasser al-Bahari. Er ist in einem Aussteigerprogramm der jemenitischen Regierung. Der Deal lautet: Jobs gegen Gewaltverzicht. Regelmäßig tritt er als eloquenter Al-Qaida-Aussteiger in Politsendungen des arabischen Fernsehens auf. „Die neue Generation von al-Qaida“, sagt er, „will nur Gewalt. Sie hat keine Überzeugungen mehr.“ Manchmal klingt er wie Peter Jürgen Boock, der über die Dritte Generation der RAF lästert und sein Publikum mit immer neuen Varianten seiner Geschichte verblüfft. Er ist ein Blender, eine Medienfigur. Tatsache ist, dass Abu Jandal an 9/11 nicht beteiligt war, weil er damals als Terrorverdächtiger im Jemen im Knast saß. Das hat ihn wohl gerettet. Nach 9/11 verhörten ihn FBI-Agenten im Knast. Er kannte alle 19 Täter sehr gut. Die USA erfuhren von ihm Details über die Logistik von al-Qaida in Afghanistan. Der Krieg der USA gegen die Taliban begann erst, als das Verhör mit ihm beendet war. In den Augen von al-Qaida ist Abu Jandal ein Verräter.

Chronistin und Erzählerin

„The Oath“ ist spektakulär, weil er einen Blick in das Innenleben, die Rechtfertigungen und Distanzierungen eines Exterroristen öffnet, Doch im Kern ist dies keine journalistische Recherche, sondern eine Geschichte über Verrat und Treue. Die Regisseurin ist nicht die Detektivin, die das Rätsel löst, nicht die Staatsanwältin, die anklagt, nicht die Therapeutin, die Diagnosen stellt. Sie ist Chronistin und Erzählerin.

Doch wie vermeidet man vordergründige moralische Empörungsgesten, mit denen man das Publikum auf die sichere Seite bringt und doch nur Scheinklarheiten herstellt? Wie die Gefahr, irgendwie doch nur einen Freak zu zeigen, den wir beim besten Willen nicht verstehen können? Laura Poitras zeigt Abu Jandal nah, aber nicht distanzlos. Wir sehen ihn bei der Arbeit im Taxi, in Alltagssituationen, beim Beten mit dem Sohn, in Diskussionen als höchst wandelbaren Selbstdarsteller, bei dem Verzweiflung und Pose in eins zu fallen scheinen. „The Oath“ individualisiert das große Thema Terrorismus.

Einmal schaut Abu Jandal mit seinem Sohn im TV Bilder eines Selbstmordattentats von al-Qaida. Der Vater sieht zu, der Sohn quengelt und sagt, was die meisten Kinder auf der Welt in diesem Moment sagen würden: „Ich will lieber Tom und Jerry sehen.“ Diese Szene zeigt, dass der militante Kampf gegen die USA und die Sehnsucht nach dem westlichen Way of Life keine bloßen Antipoden sind. Es sind Wünsche, die ganz dicht nebeneinander liegen. STEFAN REINECKE

■ 12. 2., 16.30 Uhr: CineStar 8; 13. 2., 14 Uhr: Delphi Filmpalast