Kolumne jüdische Geistliche: Orthodoxie und sexuelle Verfehlung

Trunkene Bischöfin, pädophiler Priester, islamistischer Terrorist ... und schwuler Rabbi. Auch im Judentum kennt man Wollust-Skandale. Die haben viel mit Männerbünden zu tun.

Alle Welt spricht von einer trunkenen evangelischen Bischöfin, von pädophilen katholischen Priestern und fundamentalistischen Muslimen, die ihre Frauen schlagen. Aber was ist eigentlich mit jüdischen Geistlichen, mit Rabbinern? Auch sie sind keine Heiligen, wie Skandale in den USA und Israel, wo große jüdische Gemeinschaften leben, beweisen. So flogen kürzlich sowohl in den USA als auch in Israel Fälle auf, bei denen orthodoxe Rabbiner von konversionswilligen Frauen sexuelle Dienstleistungen erzwangen.

Ein tiefgehender, weil nicht nur moralischer, sondern bis in die letzten Verästelungen politischer Skandal treibt derzeit die israelische Öffentlichkeit um. Dem Rabbi Mordechai Elon, einem wortgewaltigen, charismatischen Lehrer und Agitator der nationalreligiösen Siedlerbewegung wird aus Kreisen einer aufgeklärten Orthodoxie vorgeworfen, seit Jahren homosexuelle Handlungen an mit ihm lernenden Jeschivastudenten vorgenommen zu haben.

Das Skandalöse des Vorfalls liegt weniger in einem Missbrauch der Fürsorgepflicht - die Studenten waren wohl volljährig - noch daran, dass in Israel - im Unterschied zu umliegenden arabischen Staaten - Homosexualität von Rechts wegen verfolgt würde. Als problematisch wird vielmehr empfunden, dass nach der orthodox ausgelegten Weisung, der Halacha, homosexuelle Handlungen eine schwere, absolut untersagte Sünde sind. Im Unterschied zum liberalen und konservativen Judentum, das Homosexualität inzwischen mehr oder minder akzeptiert, hat sich die Orthodoxie kaum je mit dieser Frage auseinandergesetzt.

ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main.

Brumlik war zudem Vorsitzender der "Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen" beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. (mit wikipedia-material)

Soziologisch betrachtet, haben die sexuellen Verfehlungen von Geistlichen stets strukturelle Ursachen: Es ist kein Zufall, dass Pädophilie bei zölibatären katholischen Priestern wahrscheinlicher auftritt als unter verheirateten protestantischen Pfarrern, ebenso verwundert es, dass aus protestantischen Internaten derlei Fälle (noch?) nicht bekannt geworden sind.

Aber wie dem auch sei: Als strukturelle Ursache des israelischen, des nationalreligiösen Skandals wird man das Prinzip des Männerbundes benennen. Politische Männerbünde sind aus der europäischen, zumal der deutschen Geschichte in der Epoche der Jugendbewegung bis zum Ende der NS-Zeit bekannt.

Die dumpfe Mischung von Gewaltaffinität, schwitzender körperlicher Nähe, gläubiger Liebe zu einem Führer und den "Kameraden" sowie einem nicht geringen Ausmaß von Frauenverachtung bringt einen Typus hervor, dem es meist gelingt, den sexuellen Anteil der durch all dies verursachten Erregung unter Kontrolle zu halten und in die Bahn einer Ehe mit vielen Kindern zu lenken.

Indes: Wer einmal Filme gesehen hat, die die erregten Gesichter nationalreligiöser Aktivisten beim gemeinsamen Tanz nur unter Männern während des Purimfestes zeigen, bei dem man sich sinnlos betrinken soll, wird sich über das dahinter stehende Begehren kaum täuschen. Die israelische Siedlerbewegung rekrutiert sich zu nicht geringen Teilen aus nordamerikanischen, kleinbürgerlichen jüdischen Immigranten, die im Westjordanland Cowboy und Indianer, Frontier nicht nur spielen. Die Anhänger der Bewegung leben bald in der zweiten, wenn nicht dritten Generation in den Hügeln des Westjordanlandes. Die israelische Soziologie kennt die in diesen Siedlungen geborenen Kinder als "Noar ha Givot", als "Jugend der Hügel".

Es ist eine Generation, die in dem Wahn aufwächst, Gott selbst habe ihnen dieses Land zugewiesen. In Rabbi Elons homosexuellen Kontakten offenbart sich der energetische Kern der ganzen Bewegung: der Genuss des kriegerischen männlichen Körpers, die geradezu lästerliche Lust an einem Gottesbild, das in Gott vor allem "den" Eroberer sieht. Gottes Nähe im Leib des charismatischen Lehrers und seiner Schüler lustvoll zu spüren, das ist es, wovon der Skandal um Rabbi Mordechai Elon zeugt.

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1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

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