Rhetorische Gänseblümchen

FAVORITEN RÄUMEN AB Georg Klein wurde für seinen Roman, Ulrich Raulff für Essayistik auf der Buchmesse Leipzig ausgezeichnet

Die Entscheidung für Georg Klein ist eine für ernsthafte, waghalsige und sprachmalerische Literatur

VON DIRK KNIPPHALS

Die Dankesworte waren sehr hübsch. Georg Klein verteilte rhetorisch Gänseblümchen – an die Institutionen, die den Preis der Leipziger Buchmesse ausrichten, an seine Frau und, besonders innig, an die Personen die in seinem nun preisgekürten „Roman unserer Kindheit“ vorkommen; er hat eine Menge autobiografisches Material aus seiner eigenen Kindheit hineingearbeitet und hineingekünstelt.

Ulrich Raulff, mit „Kreis ohne Meister“ der Sachbuch-Preisträger, hatte gar gleich ein paar Aperçus bereit. „Sie sehen mich nicht unbewegt.“ Und: „Ich dachte, das sei ein Buch für die unhappy few. Sie von der Jury sagen, ich habe mich geirrt. Ich werde versuchen, mit diesem Irrtum zu leben.“ Nur Ulrich Blumenbach, der für seine Übersetzung von David Foster Wallace’ „Unendlichen Spaß“ den Übersetzerpreis bekam, sagte nichts; als seien alle seine Worte für diese wirklich fulminante Übersetzung aufgebraucht; aber wer ihn zuletzt auf einer seiner vielen Lesungen erlebt hat, weiß, dass man sich da keine Sorgen machen muss.

Die Favoriten haben damit abgeräumt. Ulrich Raulffs Buch war im vergangenen Herbst schon in den Feuilletons hoch und runter besprochen und gepriesen worden; vielleicht bringt der Preis für die Übersetzung ein paar tausend verkaufte Exemplare zum Überraschungsbestseller „Unendlicher Spaß“ hinzu.

Wirkliche Spannung kam am Donnerstag gegen 16.30 Uhr, als die Preisträger unter dem Glasdach der Leipziger Messehalle verkündet wurden, nur an einer Stelle auf: Im Ernst hat wohl niemand geglaubt, dass die Jury sich für Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ entscheiden würde; aber hundertprozentig sicher war man sich da eben doch nicht. Zumal die 18-jährige Autorin zumindest so eine Art Gesprächsthema der Herzen auf der Messe ist.

Wer in einer langweiligen Gesprächsgruppe herumsteht, braucht hier nur ihren Namen auszusprechen, irgendeine leidenschaftliche Reaktionen erzeugt man damit immer. Das schafft bislang jedenfalls auf dieser Messe kein anderer Schriftsteller. Außerdem war bis zuletzt noch Lutz Seilers Roman „Zeitwaage“ hoch gehandelt worden. Vielleicht hat er den Preis nur deshalb nicht bekommen, weil es ungünstig wäre, drei Bücher aus dem Herbstprogramm auszuzeichnen.

Die Entscheidung für Georg Klein ist eine für ernsthafte, komplexe, waghalsige und sprachmalerische Literatur (siehe Interview auf Seite 15). Eine Nachkriegsgeschichte baut sein „Roman unserer Kindheit“ ins unerdenklich Unheimliche aus. Georg Kleins Roman ist wohl tatsächlich der Roman, auf den sich, wenn fünf Literaturkritiker zusammenstehen, drei einigen können. Mal sehen, wie viel Leser sich nun zum Kauf dieses nicht einfach lesenden Buchs entscheiden werden.

Hoffen darf man außerdem, dass mit dieser Entscheidung nun das allgemeine Haben einer Meinung in Sachen Helene Hegemann beendet sein wird. Verena Auffermann, die Juryvorsitzende, hatte extra vor der Preisverkündung noch eine kleine Erklärung vorgelesen. Die Jury habe nach ästhetischen Maßstäben entschieden, nicht nach juristischen, und sie habe sich auch von niemandem unter Druck setzen wollen. Das war gegen die Unterzeichner der sogenannten Leipziger Erklärung gesetzt, unter anderem Günter Grass und Christa Wolf, die meinten, Helene Hegemann hätte wegen Diebstahls geistigen Eigentums gar nicht nominiert werden dürfen.

Verena Auffermann hielt auch da ästhetisch dagegen: Individuelles Leid und gesellschaftliche Verwahrlosung fänden sich in diesem Roman sowie eine Zartheit, verborgen hinter großem Zorn. Auch wenn diese Sätze etwas routiniert schwülstig klingen: Die Idee, es mit ihnen in Sachen Hegemann ein Bewenden haben zu lassen, wirkt nicht unattraktiv.

Insgesamt war damit die Verleihung dieser Preise der Leipziger Buchmesse immerhin um einiges aufregender verlaufen als die Verleihung des Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung am Abend zuvor. György Dalos bekam ihn. Seiner Dankesrede konnte man gut entnehmen, was für aufregende Zeiten es gewesen sein müssen, als man sich identitär zwischen ungarischem Kommunismus, dissidentischer Ostberliner und links-intellektueller Westberliner Szene bewegen musste; in allen diesen Szenen hat Dalos, geboren 1943, seine eigene spöttische Ironie behauptet. Aber man kriegte in der Rede eben auch mit, dass das alles schon etwas her ist und man vor allem wenig Erkenntnisse für die Gegenwart daraus ableiten kann.

Nur ganz am Schluss kam Dalos auf das heutige Ungarn und seine „ziemlich friedlose Demokratie“ zu sprechen. Ein runder Tisch habe es, so Dalos, vermocht, 1989 aus der Diktatur eine Demokratie zu machen. Er plädierte für einen neuen Runden Tisch, um die Rechtsextremisten in Ungarn zu isolieren und eine „friedliche Transformation der schlechten Demokratie zu deren besseren Variante in Gang zu setzen“. Aber ob das klappen könnte? Wohl kaum.