Betont aufgeräumt

KUNSTMETROPOLE NEW YORK Die Whitney Biennale feiert ihr 60. Jubiläum und scheint sich in einem Zwiespalt zwischen Aufbruch und Rückbesinnung zu befinden

Dass Kunst Relevantes über Wirklichkeit sagen könnte, erscheint so nebulös wie diese Biennale

VON OLIVER KÖRNER VON GUSTORF

Francesco Bonami weiß, welcher Künstler in den USA angesagt ist. Er ist Kurator der Whitney Biennale und hat in den letzten zwei Jahren die Vereinigten Staaten durchkämmt, um im New Yorker Whitney Museum zu zeigen, was gerade in der US-Szene „State of the Art“ ist. Man habe auch in Hawaii gesucht, schreibt er in seinem Katalogvorwort, sei aber dort leider nicht fündig geworden. Das sei aber kein Grund, sich schlecht zu fühlen, hätten doch die Hawaiianer den coolsten Künstler von allen – im Weißen Haus. Dieses euphorische Statement wirkt angesichts der realen politischen Lage eher weltfremd: Denn die Feier des 60-jährigen Jubiläums der Biennale fällt in ein Rezessionsjahr, in dem die einheimischen Hoffnungen auf Präsident Barack Obama abgeklungen sind. Die USA befinden sich in einer Art Schwebezustand zwischen verordnetem Optimismus und Ernüchterung, die ins Konservative umschlägt. Und während die Debatten um die Reform des Gesundheitswesens die Nation spalten und Plakate für eine Comedy-Serie mit dem Titel „How to Make It in America“ die Straßen pflastern, scheint sich die Biennale ebenso im Zwiespalt zwischen Aufbruch und Rückbesinnung zu befinden.

Die Zeiten des Spektakels sind auch im Whitney vorbei. Kein Goth-Glam mehr, wie 2006, als der überhitzte Kunstmarkt Rockkultur und subversiven Lifestyle umarmte. Keine Denkbaustelle wie 2008, als man sich mit politisierter Bastel- und Baumarktkunst das Ende der Bush-Ära herbeisehnte. Stattdessen eine betont museale, aufgeräumte Präsentation. Im Vergleich zu 2006 haben Bonami und sein Co-Kurator Gary Carricon-Murayari die Anzahl der Teilnehmer mit 55 Künstlern auf die Hälfte reduziert. Im fünften Stock des Museums zeigt die Ausstellung „Collecting Biennials“ mit Exponaten aus der hauseigenen Sammlung, wie die Biennale durch prominente Teilnehmer von Edward Hopper bis Matthew Barney den amerikanischen Kunstkanon mitgeprägt hat. Und dieses Credo gilt für die gesamte Schau – das Haus selbst und die traditionsreiche Veranstaltung sind Programm genug. So gibt es kein übergreifendes Thema, keine geschlossene visuelle „Erzählung“, sondern eine Abfolge von solide bespielten White Cubes, in denen sich schlaglichtartig erschließt, was die US-Kunstszene heute beschäftigt. Und das ist vor allem eine Rückbesinnung auf historische Strömungen und Ästhetiken.

Das Erbe der Moderne

Wie auch in Europa setzten sich in den USA immer mehr Künstler mit dem Erbe der Moderne und den Möglichkeiten auseinander, wie das formale Vokabular von abstrakter, minimalistisch reduzierter Kunst „re-kontextualisiert“ und mit aktuellen gesellschaftlichen und persönlichen Bezügen aufgeladen werden kann. Das ist auch im Whitney unübersehbar. Piotr Uklanskis monumentale Makramee-Wandarbeit, die den Geist des polnischen Avantgarde-Theaters der Fünfzigerjahre beschwört, die abstrakten Leinwandkompositionen von jungen, konzeptionellen US-Malerinnen wie Tauba Auerbach, R.H. Quaytman, Sara Crowner; die an Op-Art, russischen Konstruktivismus oder Post-Minimal denken lassen, die zahlreichen Tanz- und Performancevideos, die Merce Cunningham oder John Cage channeln – das Gefühl von künstlerischer Aufbruchstimmung und Kritik wirkt nicht von heute, sondern wie ein Nachhall aus früheren Zeiten.

Auch der Publikumsrenner „We Love America, and America Loves Us“ des Künstlerkollektivs The Bruce High Quality Foundation ist von einem Werk aus den Siebzigern inspiriert, von Joseph Beuys Performance „I Like America and America Likes Me“, bei der er sich in einem Krankenwagen vom Kennedy-Flughafen in die Galerie René Block fahren ließ, um sich dort für drei Tage mit einem Coyoten einzuschließen. In Anspielung darauf installiert das Kollektiv genau denselben Autotyp im Whitney. Im Fond wird eine Videomontage auf die Windschutzscheibe projiziert: ein Cut-Up aus Hollywoodfilmen, Nachrichten, und YouTube-Clips – Jahrzehnte US-amerikanischer Mediengeschichte. Unterlegt wird der Mix von einer Frauenstimme, die in einem Abschiedsmonolog über Amerika spricht wie von einem verlorenem Freund. Die Außensicht wird zur Innensicht, die Retrospektive zur Introspektive. „Yes we can“ sei heute „Yes I can“, konstatiert Bonami. Wenn es in diesem historischen Augenblick darum ginge, neue Gemeinschaften zu gründen, dann würde für viele Künstler der Ausgangspunkt zunächst ihre eigene Befindlichkeit bilden. Diese Vereinzelung ist auch im Ausstellungskonzept spürbar. Ist man in einem Raum noch überwältigt von der filigranen Opulenz von Charles Rays floralen Tuschezeichnungen, steht man im nächsten plötzlich vor Stephanie Sinclairs Fotoserie „Self-Immolation in Afghanistan: A Cry for Help“ (2005), die Aufnahmen von afghanischen Frauen zeigt, die sich aus Verzweiflung über eine bevorstehende Zwangsheirat selbst angezündet haben. Solche schockierenden Bilder wirken auf dieser wohltemperierten Biennale wie pflichtschuldige Pausenfüller – ebenso wie Josephine Mecksepers Video „Mall of America“, das ein von Konsum und Gewalt geprägtes Bild der US-Kultur zeichnet. Die super-ästhetische und politisch korrekte Whitney-Schau beschwört zwar die gesellschaftlich-regenerativen Kräfte der Kunst, scheut dabei aber engagierte, provokante Haltungen.

Die Idee, dass Gegenwartskunst tatsächlich etwas Relevantes oder Unbequemes über unsere Wirklichkeit sagen könnte, erscheint ebenso nebulös wie die Rauchschwaden auf Pae Whites monumentaler Fotoarbeit „Still Untitled“ (2010) – ein Meisterwerk der Andeutung, wie auch diese entmutigende und trendgerechte Biennale.

■ Bis 30. Mai, Whitney Museum of American Art, New York, Katalog 29,95 US-Dollar