Der hohe Preis der Selbstbeherrschung

IM GLASHAUS Exzess und Ermüdung sind oft nur eine Einstellung weit voneinander entfernt in Tom Fords Regiedebüt „A Single Man“

Wenn George noch einmal wichtige Orte und Menschen seines Lebens aufsucht, reist eine Waffe mit

VON ANDREAS BUSCHE

George Falconer lebt in einem Glashaus. Wenn er hinausblickt, erstreckt sich vor seinen Augen die geometrische Einöde eines typischen Vorortstraßenzugs in den Sechzigerjahren. Seine Nachbarn sehen in George einen distinguierten britischen Akademiker mittleren Alters, der sich notgedrungen mit dem American Way of Live arrangiert hat. George, von Colin Firth mit melancholischer Bissigkeit gespielt, verwendet viel Zeit darauf, in die Rolle zu schlüpfen, die seine Umwelt ihm zugeteilt hat.

Sein morgendliches Bekleidungsritual ist auch eine Maskierung – durch die Augen des Regisseurs und Modedesigners Tom Ford gesehen, bekommt das Procedere zudem etwas hochgradig Fetischisiertes. Die Sorgfalt, die er jedem einzelnen Kleidungsstück zukommen lässt, verrät nicht nur den Connaisseur Ford, sie beschreibt George auch als einen Individualisten, der dem täglichen Versteckspiel durchaus seine hedonistischen Seiten abgewinnt.

Tiefes Unbehagen

Gleichzeitig offenbart der letzte prüfende Blick ein tiefes Unbehagen in seiner gesellschaftlichen Rolle. „Was ich im Spiegel erblicke“, bemerkt er aus dem Off, „ist weniger ein Gesicht als vielmehr der Ausdruck eines gelebten Dilemmas.“

Die Offenheit des architektonischen Entwurfs, in dem George sich eingerichtet hat, ist in Fords Regiedebüt „A Single Man“ überdeutlich symbolisch angelegt. Die gläserne Architektur von Georges Domizil verweigert sich dem Sicherheitsparadigma, dem die stadtplanerische Logik der Suburbia in den Sechzigerjahren bereits unterworfen war. Sie lässt sich aber genauso als Statement verstehen: Für seine Mitmenschen ist George gewissermaßen unsichtbar, wie er selbst wiederholt anmerkt. Über seine Homosexualität herrscht in den Kreisen, in denen er verkehrt, ein Stillschweigeabkommen – solange George die gesellschaftlichen Konventionen akzeptiert.

Unsichtbarkeit leben

„A Single Man“ beschreibt den hohen Preis dieser Unsichtbarkeit. Nach dem Tod seines langjährigen Partners Jim befindet sich George in einer emotionalen Schockstarre. Der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen wird noch verstärkt durch die Unmöglichkeit, seine Trauer mit einem anderen zu teilen. In einem seiner bewegendsten Momente zeigt der Film die ungeheure Selbstbeherrschung, die diese Maskerade erfordert.

Georges einzige Vertrauensperson ist seine Jugendliebe Charley (Julianne Moore), mit der er Jahre zuvor England verließ. George ist also in mehrfacher Hinsicht ein „single man“: ein Witwer, Exilant und gesellschaftlicher Außenseiter, der auf seiner letzten Cruisingtour jedoch langsam realisiert, dass er mit seinen Begehren vielleicht doch nicht so ganz allein ist.

Christopher Isherwoods gleichnamiger Roman wurde bei Erscheinen 1964 als kleine Sensation gefeiert, das erste literarische Zeugnis einer sich gerade formierenden emanzipatorischen Schwulenbewegung. Isherwood lebte wie seine Romanfigur bis zu seinem Tod mit seinem festen Lebenspartner in Los Angeles, doch die libertären Hollywood-Zirkel hatten nur wenig mit dem puritanischen Milieu aus „A Single Man“ gemein.

Nahe am Melodram

Fords Verfilmung beruft sich dann auch eher auf die Melodramen Douglas Sirks, nicht ohne allerdings geschickt mit dessen Ästhetik zu brechen. Ford treibt das Spiel um Doppelidentität und Selbstkontrolle auch formal auf die Spitze. „A Single Man“ verfügt im Grunde über zwei Gefühlsmodi: Der Film ist überwiegend in desaturierten Farben gehalten, eine schöne Metapher für die emotionale Ermattung Georges. In vereinzelten Momenten von Leidenschaft nehmen die Farben aber eine Technicolor-artige Sättigung an, und das hat dann nicht nur etwas Rauschhaftes. Es ist auch beruhigend zu sehen, dass George im Kontakt mit seinen Mitmenschen, meist jungen Burschen mit Alabasterkörpern, immer noch zu solchen Gefühlsregungen fähig ist.

Denn das sehr übersichtliche Zeitfenster, das „A Single Man“ aufstößt, werden Georges letzte Stunden sein. Wenn er noch einmal die wichtigen Orte und Menschen seines Lebens aufsucht, reist eine geladene Waffe in seiner Aktentasche mit. Ford erfasst diese Lebensmüdigkeit, nicht zuletzt dank Firths reserviertem Spiel, in schön beobachteten Details.

Aber immer auch ist der visuelle Exzess nur eine Einstellung weit entfernt. Dass er dabei stets die Balance zwischen epischer Kadrierung (in der die groteske Dekadenz der Modefotografie bereits als Zitat fungiert) und der intimen Nähe zweier Menschen findet, zeichnet Ford als feinfühligen Regisseur aus – und eben nicht nur als brillanten Arrangeur schöner Gegenstände.

So verleiht er „A Single Man“ einen höheren Sinn: George stirbt einen langsamen Tod an gebrochenem Herzen, aber er findet darüber seinen Frieden mit einer Welt, die ihm bei aller Ablehnung auch große Schönheit beschert hat. Am Ende liegen wieder diese betörenden Technicolor-Schleier über Fords Bildern. Es könnte aber auch bloß der Smog über den Hügeln von Los Angeles sein.

■ „A Single Man“. Regie: Tom Ford. Mit Colin Firth, Julianne Moore. USA 2009, 99 Min.