„Coco Chanel & Igor Stravinsky“

Théâtre des Champs Élysées, 29. Mai 1913. Es ist die Premiere von Igor Stravinskys „Le sacre du printemps“. Die Unruhe im Saal übertönt die Musik, das Ballettensemble ist desorientiert. Stravinskys progressive Musik vertreibt das Publikum. Nur Coco Chanel lässt sich nicht beirren. Sie sieht in Stravinsky den Bruder im Geiste, der ebenso radikal mit der musikalischen Ordnung bricht, wie sie die modische Linie der Weiblichkeit neu erfindet.

„Coco Chanel & Igor Stravinsky“, der Film über die Affäre zwischen der Haute-Couture- Schneiderin und dem Komponisten, könnte sich erschöpfen in Liebesrausch und Tränenfluss. Tatsächlich handelt der neue Film des in den Niederlanden geborenen Regisseurs Jan Kounen, der sich einen Namen als Musikvideofilmer gemacht hat, auch von den Selbstverständnissen der Gattungen Musik und Mode.

Nie ist die Kamera statisch, immer in Bewegung zitiert sie die Leitlinie der Epoche. Die Bilder arbeiten stark mit der Ornamentik von Oberflächen, seien es die Interieurs, in denen sich die Pariser Hautevolee tummelt, oder die vollbesetzten Ränge der Oper. Dagegen setzt Kounen immer wieder die reduzierten Chanel-Farben, die unerwartet in den Kompositionen auftauchen und in ihrem minimalistischen Programm abgeklärt wirken wie Mademoiselle Coco (Anna Mouglalis) selbst.

Der Film arbeitet sich an Rollenmodellen ab – und verkehrt sie. Stravinsky (Mads Mikkelsen) wirkt gegen die radikal unabhängige Coco Chanel, die ihre Marke pusht und Gehaltsforderungen ihrer Näherinnen unberührt abschlägt, wie ein autistischer Nerd. Auch seine Frau Katharina (Elena Morozowa) macht keine gute Figur. Die traditionelle Mutterrolle ausfüllend, liest sie den Kindern Märchen vor, während ihr Mann bei Zigarre und Wein seine Stücke komponiert.

So schlüsselt der Film das Verhältnis zweier Künstler auch über Geschlechtermodelle auf. Igor Stravinsky geht aus der Amour fou mit Coco Chanel als armes Würstchen hervor. Für seine Mäzenin findet er nur diese Worte: „Sie sind keine Künstlerin Coco, Sie sind eine Stoffverkäuferin.“ PHILIPP GOLL

■ „Coco Chanel & Igor Stravinsky“. Regie: Jan Kounen. Mit Anna Mouglalis, Mads Mikkelsen u. a. Frankreich 2009, 120 Min.